«Es wird ein Spektakel!»
Im Dezember 2023 gab es eine Premiere mit Nachhall: Das gesamte Cello-Register des Tonhalle-Orchesters Zürich begeisterte zusammen mit Kian Soltani. Deswegen formieren sich unsere Cellist*innen nun zu einem eigenen Ensemble. Christian Proske und Benjamin Nyffenegger verraten ihre Pläne.
Schauen wir erst einmal zurück: War das Konzert mit Kian Soltani tatsächlich das erste in dieser Registerformation?
Christian Proske: Es gab ein Projekt, das ich mal organisiert habe, aber das ist sicher 17 Jahre oder länger her. Das hiess «Cello do Brasil». Da haben wir die «Bachianas Brasileiras» von Heitor Villa-Lobos gespielt, die sind ja für Cello- Ensemble geschrieben. Das haben wir kombiniert mit drei Gambensonaten von Johann Sebastian Bach, arrangiert für jeweils drei Celli. Dieses Programm kam damals sehr gut an. Und durch das Projekt mit Kian in der letzten Saison, das allen so viel Freude gemacht hat – auf und hinter der Bühne und auch im Publikum –, kam der Impuls: Komm, da machen wir jetzt weiter.
Benjamin Nyffenegger: Bei uns im Orchester existieren schon reine Cello- Ensembles, als Cello-Quartett und Cello- Quintett. Ich war gerade mit meinem Ensemble auf Tour. Dazu muss man sagen, dass es im Moment wirklich viele Konzerte gibt, die ausschliesslich von Celli bestritten werden. Das ist einfach ein toller Trend. Kian ist selbst begeistert von der Idee der Cello-Ensembles und hat das schon öfter mit Orchestern gemacht, wenn er zu Gast war – und er hat auf seiner CD «Cello Unlimited» auch Filmmusiken, die eigentlich für Orchester sind, alleine in ca. 200 Spuren eingespielt. Das zeigt: Mit Celli kann man wirklich sehr vieles machen.
Was ist denn das Besondere an dieser Besetzung?
BN Cellist*innen brauchen eigentlich nicht viel mehr als andere Cellist*innen. Uns reicht das ... (lacht). Es ist natürlich nett, wenn Geigen und Bratschen dabei sind, aber theoretisch geht es auch nur mit Celli. Das Instrument hat diese Wärme und Sinnlichkeit. Das löst auch in Bearbeitungen bei vielen etwas aus. Und für uns, die es spielen, ist es halt einfach das schönste Instrument überhaupt.
CP Neben Repertoire-Klassikern wie Villa-Lobos gibt es inzwischen auch zahlreiche Arrangements auf Top-Niveau, die alles abdecken, was das Cello mitbringt: von den höchsten Höhen bis zu den tiefsten Tiefen.
Es existieren berühmte Vorbilder wie die 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker, die 1972 gegründet wurden. Gibt es da einen Zusammenhang zum Repertoire?
BN Natürlich wurde einiges angestossen von den Berlinern. Aber es gibt auch eine lange Tradition von komponierenden Cellisten, die noch viel weiter zurückgeht. Boccherini etwa hat in seinen Kammermusiken oft für zwei Celli geschrieben. Das Schubert-Quintett ist auch ein berühmtes Beispiel. Bernhard Romberg, Julius Klengel, alle diese Cellisten haben sehr früh Originalwerke komponiert. Also vermute ich, dass diese Selbstgefälligkeit der Cellisten historisch bedingt ist ... (lacht). Und wir haben gerade in den Niederlanden zwei Meisterkurse gegeben. Dabei kam heraus, dass dort noch ein Fundus von über 80 Originalkompositionen für Cello-Oktett aus dem 20. Jahrhundert schlummert. Ich habe die Hoffnung, dass wir einiges wiederbeleben können. Aber es gibt konkret in unserem Fall auch vielversprechende neue Impulse durch unsere eigenen Solist*innen. Paul Handschke hat für sein Diplom, als er noch Student war und Praktikant bei uns, das Cellokonzert von Dvořák bearbeitet, für Solo-Cello und vier Celli. Ich habe bei seinem Diplomkonzert mitgespielt. Diese Bearbeitung führen wir noch sehr oft auf und werden explizit damit zu Konzerten und Festivals eingeladen. Paul hat wirklich ein grossartiges Talent, seine Arrangements sind grandios. Und Christian hat für unser neues Projekt das Programm zusammengestellt, das macht er sehr gut. Es ist einfach eine tolle Cello-Gruppe, mit wahnsinnig guten Musiker*innen. Wir sprechen seit Jahren darüber, dass wir da eigentlich etwas tun sollten.
CP Es gibt immer mehr gute Orchester, in denen etablierte Cello-Ensembles entstehen. Die ElphCellisten wären noch ein anderes Beispiel. Einige werden dann seriöser, und das geht Hand in Hand mit der Entwicklung von passendem Repertoire. Das ist insgesamt ein Wachsen. Ich finde, dass das perfekt mit unserer Cello-Gruppe zusammenpasst, zumal sie eben tatsächlich gut harmoniert und ziemlich ausgeglichen ist. Jetzt haben wir gerade mit Sandro Meszaros einen neuen Mitspieler bekommen und sind wieder komplett. Das passt also jetzt auch gerade wunderbar.
Warum? Was bedeutet das für das Zusammenspiel im Orchester?
BN Der Reiz an dieser Besetzung ist, dass jeder wirklich individuell Anspruchsvolles zu spielen hat. Das ist eine Herausforderung. Und im Kontext eines Orchesters ist es wichtig, dass gerade die jungen Kolleg*innen diese Wertschätzung von uns spüren, die wir schon länger da sind. Im Ensemble spielen wir auf Augenhöhe. Man hört sie, man schätzt sie. Und nicht zuletzt ist der Spassfaktor einfach enorm.
CP Kompetitiv wäre ein zu starkes Wort. Aber es geht schon darum, die Stimmen gut und gleichmässig zu verteilen. Nicht, dass einige immer nur im unteren Bereich spielen und andere sich immer profilieren können. Es soll fair sein. Das ist aber in den meisten gut gesetzten Stücken ohnehin schon so vorgesehen. Das ist wichtig. Und wenn wir dann zu zwölft spielen, ohne Dirigenten, müssen wir ausschliesslich durch den Kontakt funktionieren. Das ist für uns als Gruppe eine Win-win-Situation, die wir von der Kammermusik übertragen können auf den Orchesterkontext.
Ist das wirklich noch Kammermusik? Oder gibt es doch jemanden, der die Gruppe leitet?
BN Es ist schon Kammermusik, aber mit einem Plus. Und in Bezug auf die Leitung glaube ich, dass dies bei uns durch die jeweilige Persönlichkeitsstruktur ganz passend verteilt ist. Da sind Kolleg*innen, die äussern sich gerne, und andere, die sind zurückhaltender. In der Kammermusik gibt es eigentlich kein hierarchisches Denken. Jeder ist wichtig, weil nur er oder sie diese Stimme zu spielen hat. Das heisst auch, dass jede*r das Stück aus einem ganz anderen Blickwinkel sieht. Und dann finden sich plötzlich Mittelstimmen, die man gerne rausholen möchte. Das wiederum spricht aus meiner Sicht stark für die Bearbeitung zum Beispiel von Sinfonien für eine solche Formation. Bei Werken, die wir sehr gut kennen, können wir völlig andere Dinge herausschälen.
CP Ich bin schon gespannt, wie sich das dann konkret gestalten wird. In so einer grossen Gruppe, zu zwölft, braucht es schon irgendeine Art von Struktur. Einer der zwölf Berliner sagte einmal in einem Interview: Das Wichtigste, was er gelernt habe, sei gewesen, dass man sich genau überlegt, wann man was sagt und ob das wirklich nötig ist. Das stimmt natürlich. Denn die Probenzeit ist überschaubar. BN Mehr spielen, weniger sprechen! Das ist immer eine gute Sache. Und ich persönlich bin mir sehr sicher, dass dieses Projekt für die Cello-Gruppe auch im Orchesterkontext einiges auslösen wird. Wir Musiker*innen sind ja sensible Tiere. Du willst nicht einfach mitschwimmen, sondern du willst Teil dieses Projekts sein. Die Wertschätzung und dieses Gefordert- Sein entfachen ein gewisses Feuer.
In die erwähnte Tradition der Komponist* innen, die selbst Cello spielten oder spielen, passt auch Anna Thorvaldsdottir, Creative Chair der Saison 2024/25. Ihr Werk «Mikros» eröffnet euer Programm im Dezember. Wie kam es zustande?
CP Das Stück «Mikros» passt gut zum Thema der Kammermusik-Lunchkonzerte dieser Saison – «Island im Kontext nordischer Musik». Es ist im Original für Solo-Cello und zwei Bandeinspielungen komponiert. So ergibt sich eine Dreistimmigkeit, die auch in einer Fassung für drei Celli vorliegt. Natürlich machen wir diese Version. Danach folgt eine Bearbeitung von Edvard Griegs «Peer-Gynt»- Suite. Komplettiert wird das Programm mit einem Arrangement von Tschaikowskys «Nussknacker»-Suite, ein tolles, mitreissendes Stück, das perfekt in die Adventszeit passt. Ich habe es schon zwei Mal mit anderen Ensembles gespielt: Es ist sehr anspruchsvoll und gleichzeitig eine Riesengaudi.
BN Das ist das Schöne für ein Cello- Ensemble. Man kann eigentlich alles programmieren. Zu jedem Thema findet sich mehr, als man sich vorstellen kann. Und man kann sicher sein, es wird ein Spektakel!
Welche Projektideen möchtet ihr in Zukunft gerne umsetzen?
CP Im Moment ist die Idee, ein Ensemble- Projekt pro Saison zu realisieren – und nun erst einmal im Dezember die Grosse Tonhalle zu füllen!
BN Ich habe keine Zweifel daran. Konzerte von Cello-Ensembles sind immer ausverkauft, eben weil es so etwas Besonderes ist. Mein Ziel wäre es, wirklich ein abendfüllendes Programm machen zu können, weil es einfach so viele fantastische, verrückte, richtig gute Sachen zu spielen gibt. Und ich habe das Gefühl, dass es für uns am sinnvollsten und wertvollsten wäre, grosse Werke zu interpretieren. Wir kennen viele Sinfonien in- und auswendig. Was wir damit anstellen könnten als Cellogruppe, wäre nochmal etwas ganz anderes als die bekannten Cellosachen, die man bisher vielleicht schon gehört hat.