Foto: Thies Raetzke
Elphi-Blog

«Da waren plötzlich alle diese Farben!»

An drei Tagen bespielte unser Orchester die Elbphilharmonie. Hier erzählen wir, was wir in den Konzerten und sonst so erlebten.

Ursula Sarnthein, Susanne Kübler, Michaela Braun

Donnerstag, 10. November, 15 Uhr

Die Backstage-Pässe für die Elbphilharmonie sind verteilt, die einschlägigen Salat/Pizza/Sandwich-Buden im Hamburger Hafenviertel wurden erspäht und ausprobiert, und auch die Zimmer sind bezogen. Nicht alle aufs Mal zwar, das Hotel verteilte die Räume nach Alphabet, in Klammerformation: A und Z zuerst, die Musiker*innen mit Nachnamen auf H oder K mussten ein wenig warten.

Aber nun ist alles bereit für die Hamburger Residenz des Tonhalle-Orchesters Zürich: Vier Konzerte an drei Tagen werden die Musiker*innen in der Elbphilharmonie spielen. Die Vorfreude ist gross, auch Music Director Paavo Järvi ist «very excited». Die Architektur, die Akustik – es ist nun mal ein besonderer Saal. Heute Donnerstag um 18.45 Uhr wird darin eine kurze Probe stattfinden, um 20 Uhr beginnt dann das erste Konzert, mit Werken von Messiaen und Bruckner.

Für all jene, die nicht dabei sein können, werden wir in den kommenden Tagen in diesem «Elphi-Blog» erzählen, wie es läuft in Hamburg, auf der Bühne und backstage. Die Bratschistin Ursula Sarnthein wird den Anfang machen. Bis dann gibt es hier schon mal einen Elbphilharmonie-Podcast mit Paavo Järvi. (SK)

***

Donnerstag, 10. November, 23.30 Uhr

Wie ist es für die Tonhalle-Musiker*innen, wenn sie die vertraute Bühne verlassen und auf Reisen gehen? Die Bratschistin Ursula Sarnthein berichtet:

Gefühle beim Packen

Für mich beginnt die Tournee immer mit dem Packen der Container. Es macht sich ein Gefühl von Vorfreude bemerkbar, wenn ich meine Konzertkleider in ihre Hülle packe, die Schuhe und sonstige Notwendigkeiten in einen Beutel stecke und damit ins Vestibül gehe. Dort mache ich den Damenkleider-Container ausfindig, auf dem mein Name steht und in dem ich meine Sachen ins Fächli mit der richtigen Nummer räume und die Kleiderhülle aufhänge. Nun noch den Bratschen-Container finden, Instrument rein und das Vorhängeschloss schliessen. Komisches Gefühl, dass unsere Sachen nun mit einem LKW längs durch Deutschland fahren … Bis jetzt ist immer alles heil angekommen.

Schlangen

In der Schlange stehe ich oft, wenn wir auf Tournee sind. Beim Abgeben der Koffer, beim Warten auf die Zugangs-Badges für die Elbphilharmonie, am Lift, um zusammen mit 100 Kollegen im Hotel ins Zimmer zu gelangen … Eigentlich mag ich es nicht, anzustehen, aber auf Tournee gibt es immer diese netten Zufallsmomente, wenn man sich zwischen Kolleg*innen wiederfindet, die sonst am anderen Ende der Bühne sitzen und an denen man im Zürcher Probenalltag oft nur grüssend vorbeiläuft. Man lernt Neue neu kennen, macht ein «Update» mit den Altbekannten und reisst miteinander einen Haufen Witze, um die Zeit zu vertreiben.

Sarnthein Saurer Sanderell

Zur Tournee-Organisation gehören Listen. Besonders die alphabetische mit den Nachnamen ist sehr wichtig. Sie führt dazu, dass man sich immer wieder mit den gleichen Kollegen in der gleichen Sitzreihe wiederfindet. Meine freundlichen Sitznachbarn Heinz Saurer und Frank Sanderell habe ich seit nunmehr 17 Jahren, damals wechselte ich den Namen von H nach S. Sogar die Hotelzimmer sind oft auf der selben Etage. Ich stehe im Hotelflur – eine Tür öffnet sich – und heraus kommt jemand, dessen Name mit S anfängt, so wie meiner.

Ankunft in der Elbphilharmonie

Es ist etwas Besonderes, wenn ich an der Elbphilharmonie um die Ecke biege und unter den Hafenkränen zum Künstlereingang gehe. Möwen kreischen, der Wind bläst einem um die Nase und da vorne, da steht unser Lastwagen aus Zürich. Gleich daneben ist der Künstlereingang. Der Badge piept, ich kann hinein, der Aufzug saust in den 12. Stock – und kaum öffnet sich die Türe, habe ich gleich diesen überwältigenden Blick auf den Hafen, am Rand weichgezeichnet vom gesprenkelten Rahmen der besonderen Elbphilharmonie-Fenster.

Orientierungslauf

Einmal angekommen, geht die Sucherei los. Wo sind die Container? Ich sehe hier die Cello-Container, vor denen sich deren Besitzer schon tummeln - aber wo sind die Bratschen? Ach ja, da vorn bei der Cafeteria! Nächster Schritt: Wo ist die Garderobe und der Kleidercontainer? Von freundlichen Orchestertechnikern aufgehängte Zettel weisen den Weg: Auch sie finde ich zu guter Letzt, eine Treppe runter und ein paar Mal um die Ecke.

Jede Instrumentengruppe hat hier ein eigenes Zimmer – unseres ist mit «Viola» angeschrieben, und nur die Bratschengruppe hat einen Badge, der die Tür zu diesem Zimmer mit sensationeller Aussicht öffnet. Man fühlt sich ein bisschen wie auf einem Kreuzfahrtschiff, die Elbphilharmonie hat definitiv etwas von einem Luxusliner!

Staunen

Ich war zwar schon zweimal hier, aber ich gerate auch heute wieder ins Staunen, als ich aus dem Hinterbühnenbereich auf die Bühne trete. Die schiere Höhe, und die geschwungenen Emporen mit ihren muschelförmigen Reliefs begeistern mich immer wieder. In der Tonhalle ist ein guter Teil des Publikums unterhalb der Bühne, hier sind wir Musiker*innen ganz unten und senden unsere Töne in luftige Höhen. Ich mag den Klang in der Elbphilharmonie besonders, weil ich nicht nur mich selber hier viel besser höre als in Zürich, sondern auch den Klang der Kolleg*innen an den Pulten neben mir – das gibt ein besonders schönes Gefühl von Zusammenspiel. Nach der dicht gedrängten Anspielprobe macht sich bei mir eine leise Nervosität breit – ich bin gespannt und hellwach.

Und dann wird es wieder einmal magisch. Das Orchester verwandelt sich bei Messiaen und Bruckners 6. in einen einzigen Klangkörper, alle ziehen an einem Strang und es glüht unter Paavos Leitung. Eine grosse Leistung der Kolleg*innen in allen Instrumentengruppen!

Mein persönlicher Glücksmoment heute: Der vierte Satz aus Messiaens «L'Ascension», ein reiner Streichersatz, bei dem man aus seinem Instrument alles herausholt und in den Gesamtklang legt – Gänsehaut.

Ich freue mich auf morgen!

Foto: Daniel Dittus

Freitag, 11. November, 8.30 Uhr

Tag zwei der Hamburger Residenz, schon deutlich vor acht Uhr ist der bemerkenswert schummrige Frühstücksraum im Hotel voller Musiker*innen. Der Tag ist durchgetaktet: Anspielprobe um 9.45 Uhr, Schülerkonzert um 11 Uhr, danach Probe für den Abend. Vor dem Konzert gibt es dann ein paar Stunden «zur freien Verfügung»: Also Zeit, um Hamburg zu erkunden. Oder, ebenfalls verlockend: um ein bisschen zu schlafen.

Denn der gestrige Tag war aufregend, anregend, anstrengend. Dass es im Orchester «geglüht» hat im ersten Konzert, wie die Bratschistin Ursula Sarnthein schrieb: Das hat man auch im Publikum gemerkt. Ergriffene Stille nach Messiaen, lauter und langer Jubel nach Bruckner – das Hamburger Publikum in der voll besetzten Elphi hat die Zürcher Gäste mit viel Wärme und Enthusiasmus empfangen.

Inzwischen ist es tatsächlich ein Hamburger Publikum; die Touristen, welche die Elbphilharmonie nach der Eröffnung 2017 in Scharen stürmten, machen nur noch 13 Prozent aus. Und es ist ein bemerkenswert gemischtes Publikum, altersmässig wie auch in modischer Hinsicht: Das Spektrum reicht von sehr casual bis sehr schick.

In der Begeisterung waren sich alle einig. Und liessen sich danach beim Verlassen der Elphi auf der Plaza unisono vom Hamburger Wind durchpusten. (SK)

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Freitag, 11. November, 15 Uhr

Man stelle sich das Publikum nackt vor oder denke an den letzten Spaziergang: So könne man zu innerer Ruhe auf dem Podium kommen, hat jemand aus dem Orchester einmal gesagt. Wie ist es aber nun bei Schüler*innen? Wie sie aus dem Schulstress heraus zur inneren Ruhe finden, war das Thema unseres Schulkonzerts in der Elbphilharmonie, bei dem 1200 Kids die Ränge füllten.

Da gab es Musik von Arvo Pärt und Anton Bruckner – und Poetry-Slam-Texte von 13- bis 14-jährigen Hamburger Schüler*innen rund ums Thema. Die Schule im Kopf, immer und andauernd. Lernen, liefen, powern. Alles zu laut. Wo bleibt der Raum für die innere Ruhe? Das ist eigentlich etwas Grosses – aber wie kommen die Kinder raus aus diesem Kreislauf, der nur fordert? Eine Fantasiewelt aufzubauen könne helfen, riet der Moderator; sie kann die Angst vor Dingen nehmen, die nicht einzuordnen sind. Und diese Welt bleibt, keiner kann sie einem wegnehmen; bei Stress solle man immer wieder daran denken.

Wenn es nur so einfach wäre! Es ist ein höchst komplexes Thema, das uns alle mehr denn je beschäftigt, nicht nur die Schüler*innen. Aber so oder so, im Konzert klatschten sie vor lauter Begeisterung immer mal wieder dazwischen, auch eine Art innerer Ruhe. Es war ein bisschen, wie wenn sich ein Ball dem Tor nähert, der Jubel brandet auf, aber es gibt dann doch kein Tor, sondern das Spiel geht weiter.

Auch der Alltag wird weitergehen, es wird wieder zu laut werden im Kopf. Aber vielleicht wird dann auch die Musik zu einer Fantasiewelt, auf die man sich zurückziehen kann … (MB)

Hier gibts auch noch einen Podcast zum Schulkonzert.

Foto: Daniel Dittus
Foto: Daniel Dittus
Foto: Daniel Dittus

Freitag, 11. November, 23 Uhr

Vorne hui, hinten pfui: Das Motto gilt in vielen Konzertsälen; auch in der Tonhalle Zürich hat der Hinterbühnen-Bereich wenig von der Pracht des grossen Saales. In der Elbphilharmonie ist das anders. Dort gibt es im 12. von 26 Stockwerken eine Backstage-Zone, die man schon fast als Lounge bezeichnen könnte: Stilvolles Holz, hohe Fenster, Blick auf den Hafen, Cafeteria mit nordisch anmutenden Polstermöbeln.

19.45 Uhr: Bald beginnt das Konzert, die Backstage-Lounge füllt sich mit Musiker*innen und Tönen: Die Blasinstrumente sollen sich nach dem Einspielen nicht noch einmal abkühlen.

20 Uhr: Orchestertechniker Matthias Lehmann winkt die Musiker*innen zur Tür, die in den Saal führt. Auf den Bildschirmen hinter der Bühne kann man beobachten, wie sie von einer Welt in die andere wechseln, vom sozusagen privaten Backstage in den öffentlichen Konzertsaal. Selbst die Geigerin, die im letzten Moment um die Ecke flitzt und es gerade noch schafft, sich ohne Lücke der Gruppe anzuschliessen, wirkt kein bisschen atemlos beim Weg übers Podium. Dann kommt Paavo Järvi. Arvo Pärts «Cantus in Memory of Benjamin Britten» beginnt.

20.10 Uhr: Das Pärt-Stück ist bereits vorbei. Applaus, Paavo verlässt den Saal. Dann geht auch Christian Hartmann, der die Glocke gespielt hat; für ihn ist das Konzert zu Ende. Er erhält einen Sonderapplaus – wie gut die Atmosphäre im Saal ist, merkt man auch daran.

20.11 Uhr: Teil zwei des Konzerts beginnt, er wird deutlich länger als der erste: Rund 80 Minuten dauert Bruckners 8. Sinfonie. In dieser Zeit passiert hinter der Bühne wenig. Aber durchaus nicht nichts.

20.20 Uhr: Ein Orchestertechniker der Elbphilharmonie ist da, er zeigt den Zürcher Kollegen Lämpchen für Notenständer, kabellos. Man diskutiert über Vorteile und Nachteile, testet, wie hell die Dinger sind. Nicht schlecht. Auch nicht perfekt. Aber falls es mal neue braucht sicher eine Überlegung wert.

20.40 Uhr: In der Cafeteria gibt es Süsskartoffelsuppe für die Orchestertechniker, vor dem Konzert hatten sie keine Zeit, etwas zu essen. Drei sind mitgereist, wie immer bei Gastspielen; diesmal sind es Matthias Lehmann, Martin Kozel und Bernhard Kopp. Es sei ein vergleichsweise ruhiger Job hier, sagen sie; anders als bei klassischen Tourneen fällt bei dieser Hamburger Residenz die Packerei zwischen mehreren Stationen weg. Und sogar die Aufstellung auf der Bühne bleibt über die drei Tage hinweg ziemlich gleich, trotz unterschiedlicher Programme.

20. 45 Uhr: An der Wand der Cafeteria hängen zwei Bildschirme, einen für den grossen, der andere für den kleinen Saal der Elbphilharmonie. So sieht und hört man links Bruckners 8. Sinfonie, rechts gibt es das vermutlich jazzig swingende Konzert eines unablässig wippenden Chors als tonlose Pantomime. Die Kombination hätte eine Auszeichnung im Bereich absurdes Theater durchaus verdient.

20.51 Uhr: Matthias Lehmann springt auf, jetzt ist dann grad der berühmte Beckenschlag fällig, der wird fotografiert auf dem Bildschirm und den Kollegen nach Zürich geschickt.

20.58 Uhr: Auch einige Zuhörerinnen in den ersten Reihen des kleinen Saals springen auf, sie wippen nun mit. Und wissen nichts davon, dass sie es hier auf dem Bildschirm zu Bruckners majestätischen Klängen tun.

21.15 Uhr: Im Saal ist man mittlerweile im letzten Satz angelangt, hinter der Bühne macht man sich bereit.

21.27 Uhr: Applaus im Saal, die Schluss-Choreografie beginnt, und sie dauert auch an diesem Abend lange. Der Hamburger Orchestertechniker erzählt, dass es in der Elbphilharmonie als grosser Erfolg gelte, wenn ein Dirigent drei Mal herausgerufen werde. Bei Paavo sind es vier Mal.

21.30 Uhr: Die Musiker*innen strömen in die Lounge, gut sei es gelaufen, sagen sie, die Intensität des ersten Abends hat sich auch am zweiten eingestellt. Auch dank der Akustik: «Man hört sich und die anderen so gut hier!» Auf dem Podium ist von der Aufführung nur noch Paavos Partitur übrig geblieben. Dann wird auch sie abgeräumt.

22.30 Uhr: Nachfeier auf dem Hamburger Feuerschiff, The Management Symphony hat eingeladen. Vor der Sommerpause war das von Hamburg aus gesteuerte Orchesterprojekt für Wirtschaftsleute in der Tonhalle Zürich zu Gast gewesen, nun trifft man sich erneut. Und hier ist nun die Gelegenheit, auch noch die dramatischste Geschichte dieser Tour zu erzählen: Auf der Hinreise war nämlich ein Musiker auf einer Rolltreppe so unglücklich gestürzt, dass sein Instrument nun repariert werden muss. Kurze Aufregung – denn wie kommt man innerhalb von nur wenigen Stunden zu einem guten Ersatzinstrument? Die Antwort lautete: Über die Kontakte zu The Management Symphony. Die trieben nicht nur ein Instrument auf, sondern gleich drei. Der Musiker konnte wählen. Und spielte am ersten Abend, als sei nichts geschehen. (SK)

Foto: Daniel Dittus
Foto: Daniel Dittus
Foto: Daniel Dittus
Foto: Daniel Dittus

Samstag, 12. November, 11 Uhr

Dritter Tag der Hamburger Residenz, letzte Probe vor dem letzten Konzert. Erst kommt Bruckners 3. Sinfonie, und ja, man merkt, wie wohl sich das Orchester fühlt in diesem Saal. Die zweite Hälfte gehört dann Mozart und Fazıl Say: «Rock'n'Roll», bemerkt eine Zuhörerin danach durchaus nicht zu Unrecht.

Die Bratschistin Ursula Sarnthein zog es derweil in die Höhe:

«In Mozarts Klavierkonzert spielt eine kleinere Besetzung, das heisst, einige Musiker*innen – darunter ich – sind frei, auch während der Vorprobe am Morgen. Von der Bühne aus fasziniert mich schon die ganze Zeit, wie weit die oberste Empore entfernt ist, und ich frage mich, wie es dort oben klingt. Also nutze ich die Gelegenheit und steige bei den ersten Tönen von Mozarts Klavierkonzert über die Treppen im Zuschauerraum so weit nach oben, wie es geht. Dann durch zwei schwere Türen hinaus ins Publikumsfoyer, wo mich wieder die fantastische Aussicht auf den Hafen freut – heute sogar mit blauem Himmel und in der Sonne gleissender Elbe. Eine weitere Treppe hinauf, noch eine schwere Tür, eine letzte Treppe, dann stehe ich direkt unter der Decke der Elbphilharmonie.

Es ist schwindelerregend, wie weit weg das Orchester und Fazıl Say unter mir musizieren. Was mich verblüfft, ist, dass ich mich der Bühne trotzdem nah fühle. Der Blick auf die Bühne hinunter ist genauso faszinierend wie der von unten nach oben, und ich höre tatsächlich alles genauso glasklar, als wenn ich unten im Parkett sässe. Was für ein Bau!»

Foto: Daniel Dittus
Foto: Daniel Dittus

Samstag, 12. November, 23 Uhr

Auch eine Derniere kann eine Premiere sein. Das dritte Konzert unserer Hamburger Residenz war das das erste, bei dem Peter Tschentscher, der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, im Publikum sass. Was auch deshalb bemerkenswert war, weil er bei seiner kurzen Ansprache auf dem Podium keine Politikerfloskeln absonderte, sondern die Gäste aus der Schweiz überaus sympathisch begrüsste und bei der Gelegenheit auch die gute Zusammenarbeit mit der Zürcher Stadtpräsident Corine Mauch lobte.

Und noch eine Premiere bot dieses Konzert: Nach Arvo Pärts unendlich zartem «Fratres» gab Fazıl Say seinen Einstand als Fokus-Künstler der laufenden Saison – mit Mozarts Klavierkonzert Nr. 23. Im März wird er es auch in der Tonhalle Zürich spielen, und wenn er nur annähernd so gut drauf ist wie hier in Hamburg, kann man sich schon jetzt auf diese Konzerte freuen. Auf ein tief melancholisches, weiches, inniges Adagio zum Beispiel. Auf ein Zusammenspiel mit dem Orchester, bei dem es schien, als ob er seine Töne am liebsten persönlich ins Ensemble tragen würde. Und vielleicht auch auf sein «Black Earth» als Zugabe, die zwar das Hamburger Publikum in Hingerissene und Irritierte spaltete – aber unmissverständlich klar machte, was für ein eigenwilliger Geist hier hinter den Tasten sitzt.

Das grosse Finale gehörte dann noch einmal Bruckner, der Sinfonie Nr. 3. Vier Mal hatte man sie vor dem Gastspiel in Zürich aufgeführt. Dass die Moderatorin das Werk aus Versehen als Bruckners Fünfte ankündigte, war in diesem Sinn gar nicht so ganz falsch. (SK)

Foto: Daniel Dittus
Foto: Daniel Dittus
Foto: Daniel Dittus
Hans Syz, Paavo Järvi, Lukas S. Risi
Burkhard Glashoff, Ilona Schmiel, Christoph Lieben-Seutter

Sonntag, 13. November, 10.30 Uhr

Heimreise nach Zürich – Zeit für erste Rückblicke auf drei intensive Tage:

«Die Elbphilharmonie ist einer der Säle, die ich am besten kenne. Ich bin sehr oft hier mit anderen Orchestern, das war ein enormer Vorteil für unsere Aufführungen. Der Saal ist ganz anders als die Tonhalle Zürich. Aber wir fühlten uns sehr schnell ‹zu Hause› in dieser Akustik.» Paavo Järvi, Music Director

«Wir hatten alle einen gewissen Respekt vor diesem Saal, vor dieser Akustik. Und das Repertoire war anspruchsvoll. Aber dann ist es einfach wunderbar gelaufen.» David Bruchez-Lalli, Solo-Posaune

«Es war sehr angenehm, dass es eine Residenz war und keine normale Tournee. Wenn ich daran denke, dass wir sonst jeweils schon um 6.30 Uhr wieder weiterreisen mussten zur nächsten Station …» Andreas Sami, Violoncello

«Wir hatten wirklich Zeit, anzukommen in der Stadt und im Saal. Nach drei Tagen hatte man fast ein bisschen das Gefühl, hier zu Hause zu sein.» Ursula Sarnthein, Viola

«Die Bedingungen waren perfekt. Drei Tage an einem solchen Ort, mit dem Hotel in Gehdistanz: Das war trotz anspruchsvollem Programm geradezu chillig. Ich habe gehört, dass man über eine Wiederholung dieser Residenz nachdenkt. Da wäre ich sehr dafür!» Paul Handschke, Solo-Violoncello

«Tolles Hotel, sehr verspielt.» Oliver Corchia, Kontrabass

«Die Leute in der Elbphilharmonie waren grossartig, total nett. Wir haben uns wirklich willkommen gefühlt. Dass die Konzerte so grandios gelungen sind, hatte bestimmt auch damit zu tun.» Susanne Arlt, Tourneeplanung

«Bruckners Sechste haben wir wohl noch nie so gut gespielt wie hier. Das lief wie von selbst.» Herbert Kistler, Trompete

«Bei unserem ersten Konzert in der Elbphilharmonie 2018 fand ich die Akustik fast unangenehm sauber. Ich habe den Eindruck, dass sie da in der Zwischenzeit irgendetwas verändert haben: Diesmal hatte der Klang viel mehr Wärme.» Isaac Duarte, Stv. Solo Oboe

«Man hat sich so gut gehört auf dem Podium. Es war, wie wenn man einen Grauschleier entfernt hätte, da waren plötzlich alle diese Farben!» Andrea Wennberg, Viola

«Wie die Jugendlichen im Schulkonzert sich ans Mikrophon stellten und ihre sehr persönlichen und teilweise wirklich guten Texte über Stress vortrugen: Das hat mich sehr berührt.» Isabel Neligan, 2. Violine

«Als im letzten Konzert Bruckners Dritte begann, konnte ich endlich entspannt zuhören: Niemand ist krank geworden in Hamburg!» Anjali Susanne Fischer, HRM Orchester

veröffentlicht: 10.11.2022