Cello, Kemantsche und Salami-Sandwich
Was treibt unseren Fokus-Künstler Kian Soltani an? Die innige Liebe zu seinem Cello, die noch junge Romanze mit einem persischen Traditionsinstrument – und eine heimliche Leidenschaft.
Mit einer Hand auf der Schulter seines Sohnes steckt er ihm eine Kleinigkeit zu, verpackt in Papier und Folie: «Salami!», erklärt Khosro Soltani später mit einem warmen Leuchten in den Augen. «Immer wenn ich Kian bei seinen Konzerten besuche, bringe ich ihm ein Salami-Sandwich hinter die Bühne. Er liebt die», erklärt der Vater des Cellisten, der selbst Musiker ist. «Paris, London, Wien, wenn es nicht allzu weit weg ist von Vorarlberg, fahre ich hin. Es ist sehr emotional, ihn auf der Bühne zu sehen. Immer eigentlich.» Für ihn war schon lange klar, dass sein Sohn Profimusiker wird: «Als er ganz klein war, viereinhalb, fünf Jahre, habe ich bemerkt: Er hat ein besonderes Talent für Musik. Aber dass er sich so weit oben etablieren kann ... !?»
Seit zehn Jahren erobert Kian Soltani von Vorarlberg aus die internationalen Konzertbühnen. Als er im Januar 2015 mit Werken von Beethoven, Schnittke, Ali-Sade und Prokofjew sein Debüt in unserer Série jeunes gab, ging es gerade steil bergauf in seiner Karriere. Er selbst erinnert sich noch bestens an diesen Abend: «Das war ein wichtiges Konzert für mich. Ich habe enorm viel geübt. Ich bin in Vorarlberg aufgewachsen, das ist nur eine Stunde von Zürich, aber sehr, sehr klein. Und dann einfach in Zürich spielen zu dürfen, in der Tonhalle, das ist ein grosses Privileg für einen jungen Künstler.» Das Debüt mit dem Tonhalle-Orchester Zürich folgte einige Monate später, im Rahmen der Orpheum-Konzerte unter Sir Neville Marriner. Dazwischen, im August 2015, ein weiterer Moment für die Ewigkeit: Er spielte auf der Berliner Waldbühne vor 20’000 Menschen mit Daniel Barenboim – einer Persönlichkeit, die aus seinem Werdegang nicht wegzudenken ist.
Enkelschüler von Rostropowitsch
Doch sein Lehrer an der Musik-Akademie Basel war derjenige, der die Weichen gestellt hat: «Das Treffen mit Ivan Monighetti, meinem langjährigen, wichtigsten Lehrer, als ich elf Jahre alt war – das war ein sehr wichtiger Wendepunkt für mich. Denn bis dahin war alles sehr spielerisch. Und er brachte Seriosität rein. Er hat mir beigebracht, das alles noch ernster zu nehmen und mich diesem Weg vollkommen zu widmen. Mit ihm begann dieser professionelle Weg.» Monighetti war selbst Schüler von Mstislaw Rostropowitsch, dem Meister-Cellisten des 20. Jahrhunderts, dem so viele Komponisten Werke auf den Leib geschrieben haben. Zu ihnen zählte neben Bernstein, Britten, Lutosławski und zahlreichen anderen auch Schostakowitsch. Als Enkelschüler von Rostropowitsch hat Kian Soltani das Erste Cellokonzert von Schostakowitsch schon früh kennen- und lieben gelernt: «Es ist sehr rhythmisch. Das Tempo wird hartnäckig durchgezogen. Und dann die grosse Kadenz: Der Solist geht allein wirklich bis an die Grenzen des Cellospiels, das ist sehr beeindruckend.»
Schostakowitschs Cellokonzert steht im kommenden Februar auf dem Programm. Davor, zur Saisoneröffnung im September, präsentiert Kian Soltani ein anderes Lieblingsstück, das unterschiedlicher nicht sein könnte: «Schumanns Cellokonzert ist ein wahnsinnig sensibles, einfühlsames Stück und extrem persönlich. Seine Sprache ist fast schon zerbrechlich und sehr poetisch. Es ist ein Werk, das wahrscheinlich vom Publikum meist unterschätzt wird, weil es so schön und gesanglich klingt, aber es ist unheimlich anspruchsvoll. Doch das hört man quasi nicht, weil es eben ständig gesanglich ist und bleiben muss.» Und er stellt noch eine andere Besonderheit heraus: «Es ist sehr kammermusikalisch komponiert. Das ganze Orchester und der Solist müssen ständig aufeinander reagieren.»
Genau dies ist eine grosse Stärke von Kian Soltani – und eine, die er sich erarbeitet hat. Ganz bewusst setzte er sich in Barenboims West-Eastern Divan Orchestra, um dort als Solo-Cellist die Sinfonien von Mahler und Tschaikowsky sowie Werke von Wagner zu spielen. Ausserdem konnte er so besser verstehen, wie dieser grosse Apparat tickt.
Alleinstellungsmerkmale
Wenn er im Ensemble mit der Cello-Gruppe des Tonhalle-Orchesters Zürich spielt, kommt beides für Kian Soltani geradezu idealtypisch zusammen: «Es gibt kein anderes Instrument, das im Ensemble multipliziert so toll klingt wie ein Cello. Das kann einen orchestralen Klang erzeugen, weil das Cello alle Register abgreift, vom tiefsten bis zu den höchsten. Das ist, glaube ich, ein Alleinstellungsmerkmal des Cellos.»
Ein Alleinstellungsmerkmal von Kian Soltani, das sein Spiel immer wieder bewusst oder unbewusst beeinflusst, sind seine persischen Wurzeln. Sein Vater erinnert sich an Fragen nach Konzerten, wenn Kian zum Beispiel die «Ungarische Rhapsodie» von David Popper gespielt hat: «Die Verzierungen in der Kadenz – woher kommen die? Wo sind sie niedergeschrieben? Das sind alles orientalische Verzierungen.»
Aber die Prioritäten sind für Kian Soltani klar verteilt: «Ich war schon immer sehr auf die Klassik konzentriert. Und die persische Musik habe ich nie praktiziert, erst mit 18 oder 19 Jahren habe ich angefangen, mich ein bisschen damit auseinanderzusetzen. » Der Vater war vorsichtig, holte den Expertenrat des Lehrers ein, ob es vorteilhaft sei, dass Kian sich auch mit orientalischer Musik beschäftigt. Und Ivan Monighetti war überzeugt, dass es für einen Klassiker nur ein Gewinn sein kann, auch das zu beherrschen. Danach hat der Vater mit ihm geübt: «Aber nicht viel. Einmal, zweimal im Jahr ist es gut.» Seither spielt der Sohn bei seltenen Gelegenheiten im Ensemble Shiraz seines Vaters und tauscht Cello gegen Kemantsche.
Spielerisch zu den Wurzeln
«Musik war immer da», so Kian Soltani. «Es wurde ständig musiziert zu Hause, weil meine Eltern beide Musiker sind und auch geübt haben.» Seine Mutter, Farzaneh Navai, war eine der bekanntesten persischen beziehungsweise iranischen Harfenistinnen; sie starb 2004 an den Folgen einer Krebserkrankung. Sein Vater spielt Fagott und Flöte sowie die drei persischen Blasinstrumente Ney, Duduk und Sornay. Wien war eine wichtige Station für die Familie. Khosro Soltani war Mitglied des Wiener Ensembles für Alte Musik «Les Menestrels» und arbeitete ausserdem unter anderem mit dem Radio-Symphonieorchester Wien, den Wiener Philharmonikern und der Wiener Kammeroper zusammen.
Auch als Vorarlberg zum Lebensmittelpunkt wurde, blieb Wien musikalisch präsent: «Viel Schubert», erinnert sich Kian Soltani. Hinzu kam die persische Musik: «Vor allem bei den Festen. Wir hatten oft viele Gäste, dann wurde persische Musik gespielt, keine klassische Musik. Mein Onkel, mein Vater, noch andere Familien und Freunde haben einfach gemeinsam musiziert, ein kleines Ensemble von drei, vier Leuten. Ein Privileg, das ich in meiner Kindheit miterleben durfte.» Diese Leichtigkeit wollen sich Vater und Sohn für die Annäherung an die persischen Wurzeln und das gemeinsame Musizieren im Ensemble Shiraz erhalten: «So wie die Klassik früher, hat jetzt diese persische Musik etwas eher Spielerisches für mich.» Dabei lacht Kian Soltani verschmitzt, wie ein Bub, dem man gerne mit einem Salami-Brot eine Freude macht.