Oper ohne Oper
Ouvertüren im Konzertsaal waren einst vor allem ein Werbetrick. Heute sind sie längst weit mehr als das.
Was wäre eine Wetterprognose ohne Wetter, ein Inhaltsverzeichnis ohne Buch, eine Einladung ohne Fest? Nichts, rein gar nichts. Aber eine Ouvertüre ohne Oper: Oh ja, das hat was, man hört es in allen Konzertsälen dieser Welt.
Natürlich kann es nicht irgendeine Ouvertüre sein. Es gibt viele, die tatsächlich nicht mehr bieten als ein musikalisches Inhaltsverzeichnis für das, was folgt. Andere sind viel zu kurz: Die 35 Takte «Rigoletto»-Preludio etwa lassen sich nicht sinnvoll isolieren. Und dann gibt es noch jene Vorspiele, deren einziger Zweck darin zu bestehen scheint, die Vorfreude des Publikums zu verlängern: Wann geht’s hier endlich richtig los?
Die atmosphärisch intensiven, klanglich interessanten, die melodischen Motive zu einer eigenständigen Dramaturgie formenden Ouvertüren dagegen, die kommen im Konzertsaal bestens zur Geltung: Denn hier sind sie nicht nur Verheissungen für das, was nachher folgen wird, sondern eigenständige Werke. Die Scheinwerfer sind ganz auf das Orchester gerichtet, das hier nicht im Graben, sondern auf der Bühne sitzt. Für einmal spielen die Instrumente die Hauptrollen, nicht der schwelgende Tenor, der böse Bariton oder die Sopranistin, die an gebrochenem oder durchstochenem Herzen stirbt. Und das Beste: Am Ende der Ouvertüre geht nicht der Vorhang auf – sondern das Orchester erhält den verdienten Applaus.
Klangliche Trailer
Und wer hat's erfunden? Natürlich Richard Wagner, der schlauste Promoter der Musikgeschichte. Er war der erste, der Ouvertüren (seine eigenen, versteht sich) in sinfonische Konzertprogramme aufnahm. Allerdings wollte er sie durchaus nicht als absolute Musik verstanden haben: Es ging ihm um einen Hinweis auf seine Musiktheaterwerke, die Ouvertüren im Konzertsaal waren sozusagen die Trailer für das, was eigentlich zählte. Deshalb liess er jeweils inhaltliche Erläuterungen verteilen; das Publikum sollte schon mal wissen, wofür hier klanglich geworben wurde.
Der Erfolg dieser Idee war durchschlagend, und zwar so sehr, dass Wagners Ouvertüren heute weit öfter im Konzertsaal erklingen als seine eigentlichen Orchesterwerke. Auch viele andere Opernvorspiele wurden nach seinem Vorbild zu Konzertliteratur umfunktioniert. Mit gespenstischen oder idyllischen, mächtigen oder tänzerischen Klängen bereiten sie die Bühne für ganz andere Geschichten.
Denn klar, nach einer Ouvertüre kommt auch im Konzert noch allerlei. Nur nicht die Oper.