Der Unbestechliche
Schönberg, Nono, Chopin: Der grosse Pianist spielt ein Programm ganz nach seinem Gusto.
«Der Junge spielt besser Klavier als wir alle»: Das sagte 1960 der grosse Arthur Rubinstein über den damals 18-jährigen Mailänder Maurizio Pollini, der soeben den Warschauer Chopin-Wettbewerb gewonnen hatte. Das Lob wie der Sieg signalisierten den Start einer grossen Karriere; aber sie hatten auch ihre Schattenseiten, denen sich Pollini ebenso bewusst wie konsequent entzog.
Zunächst einmal verschwand er ein Jahr lang aus dem Rampenlicht, um bei Arturo Benedetti Michelangeli weiter zu studieren. Und dann wählte er sein Repertoire so, dass niemand auf die Idee kommen konnte, ihn als reinen, «gut spielenden» Virtuosen zu sehen. So wegweisend später gerade seine Chopin-Interpretationen wurden: Er hatte auch noch ganz anderes im Sinn.
Und er hat es immer noch. Nach 63 Jahren auf den internationalen Podien schafft es Pollini nach wie vor, sich nicht festlegen zu lassen, sein Publikum zu überraschen – und vielleicht auch sich selbst. Dass er sein Zürcher Programm erst eine Woche vor dem Konzert festgelegt hat, ist nicht ungewöhnlich. Er gehört zu jenen, die nicht Monate oder sogar Jahre im Voraus schon wissen, wohin die musikalische Reise führt.
Kultur ist auch Politik
Bei Pollini verlief diese Reise immer schon weitläufiger als bei den meisten anderen. So sehr er die Klassiker liebt, so intensiv hat er sich mit der Avantgarde auseinandergesetzt. Für ihn war das selbstverständlich: Sein Vater hatte als Architekt schon früh einen rationalen Stil gepflegt, sein Onkel Fausto Melotti schuf abstrakte Skulpturen; diese Offenheit gegenüber der Moderne hat Pollini geprägt. So hat er schon früh Altes und Neues kombiniert – und hat damit ein ungewöhnlich breites Publikum begeistert. Werke von Beethoven trafen auf Stockhausens Klavierstück X, das er vorschriftsgemäss mit Handschuhen spielte. Und Chopin stellt er nun auch in Zürich wieder Luigi Nono gegenüber, der ein enger Weggefährte war.
Es war in den 1970er-Jahren, als Pollini, Nono und der Dirigent Claudio Abbado begannen, das italienische Musikleben aufzumischen. Sie veranstalteten Konzerte in Fabriken, unterstützt von den Gewerkschaften und der Kommunistischen Partei. Ihre kulturelle Vision war auch eine gesellschaftliche, politische. Noch viele Jahre später, bedauerte Pollini, dass sich aus diesen Ideen «nicht so viel entwickelt hat, wie es hätte sein können».
Nono und Abbado leben längst nicht mehr, Pollini ist immer noch da: als längst legendärer, nach wie vor unbestechlicher Künstler. Zwar spielt er weniger Konzerte als früher, in den letzten Monaten musste er wegen gesundheitlicher Probleme kürzertreten. Aber ans Aufhören denkt er auch mit 80 Jahren noch nicht. Nicht, weil er eine Mission hätte; er mache das alles, so sagte er einmal mit seiner unverkennbaren Rauchstimme, «ganz einfach zu meinem Vergnügen». Und ja: Auch zu unserem.