So war unsere Asien-Tournee
Vom 12. bis 21. Oktober 2023 waren das Tonhalle-Orchester Zürich und Paavo Järvi auf Asientournee. Was wir dort erlebt haben, erfahren Sie hier im Blog.
91 Musiker*innen, ein Dirigent, eine Assistant Conductor, zwei Solist*innen, ein Tourneearzt, drei Orchestertechniker und fünf Mitreisende aus dem Management waren in Südkorea und Japan unterwegs. Die beiden Konzerte in Südkorea spielten wir mit Bomsori Kim, bei den sechs Konzerten in Japan begleitete uns Bruce Liu.
Michaela Braun, Leitung Marketing und Kommunikation, und Ulrike Schumann-Gloster, 2. Violine, berichten, was sie auf der Tournee erlebt haben:
Freitag, 6. Oktober 2023 – Asien, wir kommen!
Zwei Konzerte in Südkorea, sechs Konzerte in Japan: Unsere Musiker*innen und Paavo Järvi haben im Oktober einiges vor. Es ist die erste Asientournee des Orchesters seit fünf Jahren, und die Vorfreude ist ebenso gross wie die Vor-Reise-Hektik. Sind alle Visa bereit? Wissen alle, wer was mitnehmen, organisieren, mit den Partnern vor Ort klären muss? Während das Orchester in Zürcher Konzerten noch den Werken des Tournee-Programms den letzten Schliff verleiht, sind die Orchestertechniker bereits daran, die Container für den Transport der Instrumente vorzubereiten.
Wie es wird, wenn sie dann alle tatsächlich unterwegs sind, werden Sie hier in unserem Tourblog nachlesen können. Bis es losgeht, schwelgen wir mit dem Tourfilm der letzten Asienreise in Erinnerungen ...
Mittwoch, 11. Oktober 2023 – Südkorea
Erste Station: Südkorea. Hier werden wir zwei Konzerte mit der südkoreanischen Geigerin Bomsori Kim geben. Welche Rolle spielt die Klassik in Südkorea? Michaela Braun hat sich umgehört.
Erst der K-Pop, nun die K-Classic
Zuerst gab es den K-Pop mit Kultbands wie BTS oder Blackpink, nun gibt es die K-Classic: ein Phänomen, das der klassischen Musikszene in Südkorea eine Menge junger Fans beschert und die Säle füllt. K-Classic steht für klassische Musik, die durch koreanische Musiker*innen interpretiert wird.
Bühnenpräsenz der Solist*innen, perfekte Fotoaufnahmen und das Aussehen spielen eine wichtige Rolle, dazu Fanclubs, die mitreisen, und natürlich viel Social Media: All das führt zu Begeisterung unter den jungen Menschen und zur Lust, Konzerte zu besuchen, die Stars live zu erleben. Denn gesellschaftlich will man dazugehören. Ein Konzertbesuch kann aber auch ein Statussymbol sein, etwa beim ersten Rendez-vous – der Mann hat Stil, er kennt sich aus und führt die zu Erobernde ins Konzert. Nach dem Besuch des ersten, zweiten oder dritten Konzerts wird man dann auch Fan der klassischen Musik und geht somit regelmässig in die Konzerte. Eigentlich einfach.
Ein heiliger Ort
Social Media spielt eine wichtige Rolle und kurbelt den Verkauf der Billette an. Dies führt wiederum zu einer vergrösserten Nachfrage nach Konzerten und fördert indirekt den Bau neuer Konzerthallen. Dem Staat ist das Investment in die Kultur wichtig. Es hat wohl auch damit zu tun, wie das Land wahrgenommen werden möchte. Nicht nur ganz grosse Säle mit einer wunderbaren Akustik und Infrastruktur werden aus dem Boden gestampft, sondern auch kleinere Säle – geeignet für Kammermusik. «Noch schlummert die Kammermusik zwar vor sich hin, die grossen Säle sind beliebter, aber mehr und mehr wird der intime Rahmen eines Kammermusikkonzerts geschätzt», sagt Seung-Yeun Huh, eine gebürtige Südkoreanerin, die mit SonusArts Music Management in Südkorea auch mit dem Huh Trio kammermusikalisch tätig ist.
Nah dran zu sein zählt auch in Südkorea. Und dennoch hat die grosse Bühne immer noch etwas Magisches für Konzertbesucher*innen. Sie scheint geradezu als ein heiliger Ort. Nach dem Konzert Künstler*innen auf die Bühne zu holen – dass macht man in Südkorea nicht. Fotos, Selfies nach den Konzerten auf der Bühne, auch das geht nicht. Und im Zuschauerraum schon gar nicht. Die Laserpointer des Saalpersonals richten sich sofort auf jene, die sich nicht daran halten. Ein Format wie unsere tonhalleLATE käme wohl einer Entweihung des Saals nahe.
Und woher kommen die Liebe und die Begeisterung für die klassische Musik?
Kinder beginnen schon früh mit westlicher musikalischer Erziehung. «Wer mit drei Jahren, wie ich damals, noch nicht startet, tut das spätestens mit fünf, wenn er oder sie eingeschult wird», so Seung-Yeun Huh, die auch als Prorektorin an Musikschule Konservatorium Zürich tätig ist. Eine gute musikalische Ausbildung ist auch in der koreanischen Gesellschaft wichtig, egal, ob man nun Ballett tanzt oder musiziert. Fast alle können Noten lesen, und jedes vierte Kind spielt ein Instrument. Viel Fleiss und Ehrgeiz werden damit verbunden. Die eher westliche Haltung nach dem Motto «mach’ mal, dann sehen wir» entspricht nicht der koreanischen Kultur. Wenn man etwas anfängt, will man Leistung zeigen.
Früher kamen die Studierenden noch vermehrt nach Europa zur Ausbildung, heute hat das Land selber sehr gute Ausbildungsstätten. Den Grossteil der Kosten tragen die Eltern. Es gibt Stiftungen, die Geld geben, aber es bleibt ein Projekt der Familie. Und so erstaunt es nicht, dass immer mehr südkoreanische Solist*innen europäische Bühnen betreten und hier Karriere machen. Zeigen, was man kann, liegt sozusagen in ihrer DNA.
Erst ab den 1990er-Jahren entwickelte sich Südkorea zur Tournee-Destination. Damals wurden zunehmend europäische Orchester eingeladen. Südkoreanischen Solist*innen erhielten dadurch die Möglichkeit eines Auftritts mit diesen Orchestern. Zuerst war man neugierig, welches Orchester denn aus dem Ausland anreiste, mit der Zeit kam die Begeisterung. Wer sich die Spielpläne im Oktober und November ansieht, erkennt recht rasch, dass sich die grossen Orchester die Klinke in die Hand geben. Auch wir gehören heuer wieder dazu, am 12. Oktober in Daegu und am 13. Oktober in Seoul.
Donnerstag, 12. Oktober 2023 – Südkorea
Heute sind wir in Daegu angekommen, wo wir unser erstes Konzert spielen werden. In Südkorea werden wir von unserem Konzertveranstalter Vincero gut betreut. Michaela Braun hat mehr über dessen Erfolgsgeschichte im internationalen Tourneegeschäft erfahren.
Internationale Orchester zu Gast
Vincero gehört zu den grossen Playern in Südkorea und bringt jährlich bis zu zwölf Toporchester aus Europa und den USA ins Land. Die Mitarbeiter*innen treffen bei ihrer Arbeit ständig auf verschiedene Kulturen. Da wundert es nicht, dass sich Vincero für den Firmennamen von einem weltweiten Grossereignis inspirieren liess: Das Konzert der drei Tenöre, das bei der Fussballweltmeisterschaft 1990 in Rom erklang.
Selbst wenn Orchester aus Europa kommen, unterscheiden sie sich, z.B. bei der Wahl der Hotels, des Essens, das Vincero für die Gäste auf der Hinterbühne vorbereitet oder ob man WiFi wünscht. Auch in der Kommunikation vorab wollen die einen Orchesterverantwortlichen alles wissen und die anderen lassen es einfach auf sich zukommen. Und dann gibt es noch die Unterschiede bei den Abfahrtszeiten: pünktlich oder irgendwann.
Nach Corona
JL, der Vincero heute leitet, managte zuvor ein Restaurant in Hong Kong. Mit dem Rückzug des Vaters, der die Agentur 1995 aufbaute, übernahm er die Geschäfte. JL ist nicht nur Manager, er hat auch Klavier und Flöte gelernt. Kurz nach seinem Antritt, kam Corona und auch in Südkorea war alles anders. Heute weiss JL noch mehr, wie wichtig seine Arbeit ist. Er versteht sich als Brückenbauer zwischen Publikum und Orchester, denn beide brauchen sich und zwar live. Auch für die jungen koreanischen Solisten fungiert er als Vermittler, denn er gibt ihnen die Möglichkeit mit den grossen Orchestern aus aller Welt aufzutreten.
Mein Kollege Marc Barwisch, der den künstlerischen Betrieb bei der Tonhalle-Gesellschaft Zürich leitet, führte 2018 erste Gespräche für diese Tournee, die ursprünglich für 2021 vorgesehen war, aber dann aufgrund von Corona auf 2023 verschoben wurde. Nun sind wir da und es kann endlich losgehen: heute Abend mit unserem ersten Konzert in Daegu und morgen in der Hauptstadt Seoul.
Samstag, 14. Oktober 2023 – Daegu & Seoul
Zwei Konzerte in zwei Städten, viel Liebe und Süssigkeiten aus dem Publikum, dazu ein Pub, das orchestereigene Geburtstagskinder für ihre Sause füllen: Hier die Eindrücke, die unsere Musikerin Ulrike Schumann-Gloster aus Südkorea mit uns teilt.
Heimatliches Klangbild im Hotel
Ein herzliches «Hallo», liebe Leser*innen, aus Korea! Wir freuen uns, als Orchester nach den einschränkenden Coronazeiten das Reisen und vor allem Auftreten in den Hotspots der internationalen Klassikszene wieder erleben zu können. Als Klangkörper stellen wir uns in dieser Situation anderen akustischen Gegebenheiten und gestalten so einen lebendigen und kreativen Prozess, der uns künstlerisch inspiriert und den Kern unserer klanglichen Identität beleuchtet.
Erster wichtiger Punkt vor Ort ist die Ankunft unserer Instrumente. Essentiell, denn nur einige wenige Spieler*innen dürfen das Instrument als Handgepäck im Flugzeug befördern. Der Ablauf des Transports wird professionellst geleitet und begleitet vom hauseigenen Team unserer Orchestertechniker, ergänzt durch Oliver, unseren «Mann vor Ort». Er ist als Logistikmanager unser Betreuer für Korea, zuständig für alle anstehenden Zollabfertigungen und Kontakte mit Zollbehörden an den Flughäfen. Damit kommt ihm eine wichtige und anspruchsvolle Aufgabe zu. Seine Arbeit und unsere Kooperation mit ihm für den Verlauf der Tour ermöglichen reibungslose Reiseabläufe und Timings. Die präzise Ausführung der Vorgaben wie z.B. das Herausnehmen von Zubehör bei Streichinstrumenten (Kolophonium) oder Ventilöl bei Blechblasinstrumenten sind dabei sehr entscheidend.
Nachdem wir unsere Instrumente direkt vor dem Hotel unbeschadet in Empfang nehmen dürfen, ist es für alle Spieler kleinerer Instrumente möglich, zu üben. Im Hotel hat dies ein heimatliches Klangbild auf allen Etagen zur Folge. Ausserdem wird der Tag genutzt fürs Ausruhen, um die Zeitverschiebung etwas zu überwinden und ein wenig Sightseeing in dieser vielseitigen und sehr bunten, lebendigen Stadt zu machen, oder um Zeit im Fitnessstudio auf der obersten Etage des Hotels mit Blick über Seoul zu verbringen. Eine der komplexesten Herausforderungen auf Tournee: unsere Mahlzeiten. Es kommt vor, dass man nachts erwacht oder wachliegt und dann grossen Hunger hat. Auf diese Situationen muss man vorbereitet sein. Zum Teil helfen uns auch mal die Regale für Convenience Food in einer Hotellobby. Schliesslich möchten wir insgesamt Topniveau abliefern und das, obwohl wir alle eine Umstellung des Schlaf- und Wachrhythmus und damit auch der Ernährung durchleben. Da ist Kreativität gefragt! Und es verwundert nicht, dass einige clevere Kolleg*innen sich eiserne Reserven aus der Schweiz mitgebracht haben.
Bravos wie an der tonhalleLATE
Schon steht das erste Konzert in Daegu an: Per Bus und Zug erreichen wir den 2018 erbauten Saal mit heller, klarer Akustik. Bereits in der Anspielprobe wird klar, die Solistin Bomsori Kim fühlt sich hör- und sichtbar wohl. Begleitet und umjubelt von ihren Klassikhype-Fans wird sie mit tosendem Begrüssungsapplaus empfangen. Es ist ein tonhalleLATE-Feeling wie in Zürich für alle auf der Bühne – lebhaft und begeistert! Diese Atmosphäre trägt uns auch durch die zweite Hälfte des Konzertabends. Unser Music Director Paavo Järvi gestaltet den Beethoven wie gewohnt zügig und spontan, alle geben äusserst konzentriert und auf den Punkt gespielt ihr Bestes.
Auf der langen Rückreise nach Seoul probieren wir die Süssigkeiten, die Fans nach dem Konzert spontan an uns Orchestermitglieder verteilt haben. Eine tolle Tradition und für uns Europäer*innen ungewohnt und sehr willkommen!
Das zweite Konzert spielen wir am Folgetag in Seoul direkt. Ein anderer Tagesablauf und die erneut unbekannte Akustik sorgen für ein neues Erlebnis: Ein enthusiastisches Publikum, das zunächst sehr konzentriert ist und dann in frenetischen Jubel ausbricht. Dabei fällt uns die Unmittelbarkeit der Bravo-Rufe auf. Manche erklingen so unmittelbar subito in die Stille nach dem letzten Akkord, als gäbe es einen Wettbewerb, wer am schnellsten und originellsten ruft. Nach diesem Konzert haben Kolleg*innen, deren Geburtstage in die Zeit in Korea fallen, überraschend eine Party organisiert. Die Location ist super ausgewählt. Der Besitzer von Kathy’s Pub empfängt uns sehr herzlich, er wirkt originell und witzig, einfach typisch koreanisch. Sichtlich dankbar erzählt er uns zu Beginn, dass Paavo Järvi massgeblich zum Überleben des Pubs in der Coronazeit beigetragen habe. Er sei während einer längeren Residenz mit seinem gesamten Orchester aus Pärnu regelmässig vorbeigekommen.
Es wird ein langer, lustiger Abend und unser Abschied von Korea. Der Start in Asien ist geglückt. Schon geht's weiter nach Fukuoka/Kitakyushu, der südlichsten Insel des Japanischen Archipels.
Montag, 16. Oktober 2023 – Kitakyushu
Inzwischen ist das Orchester in Japan angekommen und hat in Kitakyushu bereits das erste Konzert gespielt. Michaela Braun hat mit Mari Parz gesprochen. Die japanische Musikerin spielt seit 2008 unter den zweiten Violinen beim Tonhalle-Orchester Zürich – zuhause erzählt sie von einem halben Leben in Europa.
Wenn Bruckner Japaner wäre, käme ein Reiskorn raus
Bevor Mari Parz zum Tonhalle-Orchester Zürich stiess, hatte sie 10 Jahre in Wien studiert und gelebt. Der Start in Wien war ein Kaltstart. Die beiden Kulturen funktionieren in ihren Augen doch sehr anders. So stellt sie den Schweinsbraten beim Heurigen neben die Sushi in Japan. Auch die österreichischen Süssspeisen waren ihr eine Entdeckung, genauso wie der Käse. Und ein Gemälde von Klimt ist für Mari Parz im Vergleich zu vielen Gemälden japanischer Künstler bis an den Rand mit Farbe gefüllt, diese wirken ihrer Meinung nach sehr leer. Das sehr Volle und Üppige gegenüber dem sehr Reduzierten. Und darum glaubt sie auch, dass Musikgeschichte in Wien entstehen konnte und nicht in Japan, wo alles wohl überlegt, weniger impulsiv und auf das Wesentliche konzentriert sei.
Nach dem Studium in Osaka, wollte sie in Wien weiter studieren, für sie die Stadt der Musik und Komponisten. Zuerst musste sie allerdings das erste Jahr in die deutsche Sprache investieren. Und das war nicht so einfach. Einen Teil der Heimat vermisste sie auch, es gab 1998 in Wien noch nicht viele japanische Restaurants oder Geschäfte mit Gewürzen, die sie zum Kochen brauchte. Da gab es dann schon mal Fischstäbchen mit Reis daheim, um möglichst nahe an die Esskultur ihrer Heimat zu kommen. Heute sei das alles kein Thema mehr. Dennoch ist ihre Kochkunst, auch nach über 25 Jahren Europa, immer noch japanisch angehaucht. Viel Gemüse, Tofu oder Fisch.
Heidi in Japan und Murakami in der Schweiz
Vor ihrer Zeit beim Tonhalle-Orchester Zürich spielte sie im Wiener Kammerorchester sowie beim Radio Sinfonie Orchester des ORF. Der Umzug nach Zürich gestaltete sich dann doch wesentlich einfacher als derjenige nach Wien. Sie findet beinahe, dass Zürich etwas Japanisches habe – die Leute seien zurückhaltender und höflicher.
Sie hat sich sehr gut eingelebt. Inzwischen hat sie skifahren gelernt und geht wandern. Zwei Freizeitaktivitäten denen man in Japan nicht unbedingt nachgehe. Die Globalisierung hat aber für sie auch etwas Positives. Elemente japanischer Kultur begegnet man inzwischen regelmässig in Europa. Bücher japanischer Autoren wie Haruki Murakami oder Ausstellungen von Künstlerinnen wie Yayoi Kusama beispielsweise, sind präsent. So sind auch japanische Mangas seit Jahren in Europa beliebt. Nie hätte sie allerdings gedacht, als sie die Zeichentrickserie «Heidi» als Kind sah, dass sie einmal in der Schweiz leben würde.
Mit dem Orchester nach Japan zu reisen ist ganz anders als es allein zu tun. Alleine sei sie ab Sekunde eins wieder die totale Japanerin. Wenn sie mit dem Orchester auf Tournee in Japan ist, dann legt sie die Europäerin nicht ganz ab. Sie hat mehr Zeit in Europa gelebt, als in Japan. «Ich fühle mich mehrfach», sagt sie mit charmantem österreichischem Akzent und lacht.
Mittwoch, 18. Oktober 2023 – Tokio
Seit 2002 spielt Yukiko Ishibashi bei den ersten Geigen im Tonhalle-Orchester Zürich. Nun ist die Japanerin auf Tournee in ihrer alten Heimat und hat mit Michaela Braun über ihr Leben in Europa gesprochen.
Irgendwann geht es retour nach Japan
Mit 21 Jahren kam Yukiko Ishibashi nach Lübeck zum Studium. Sie hatte ein Solistendiplom von der Hochschule in Tokio in der Tasche und wollte weiter lernen. Lübeck bot ihr damals diese Möglichkeit, und nicht nur das: auch Besuche von Discos, das Leben geniessen und mit Freunden Zeit verbringen. In Japan hatte es für sie nur die Musik und üben, üben, üben gegeben. Dieses erste Mal in Europa hat ihr die Augen geöffnet. Obwohl sie sich als eher schüchtern bezeichnet und damals nicht so gut deutsch sprach, hat sie in Lübeck eine neue Freiheit kennengelernt.
Yukiko war mit einer Unterbrechung drei Jahre lang in Lübeck. Der Unterricht gefiel ihr, trotz der neuen Technik, die sie sich aneignen musste. Darunter litt der Ellbogen und sie musste eine Weile pausieren. Sie pendelte von Lübeck nach Winterthur und nahm auch dort während der drei Jahre Unterricht. Somit war sie schon mit einem Fuss in der Schweiz.
Beim Tonhalle-Orchester Zürich startete sie als Praktikantin und gewann dann das Vorspiel für die ersten Geigen. Obwohl sie seit Jahrzehnten nichts Anderes mache, als Geige spielen, erfülle sie dies noch immer tagtäglich mit Leidenschaft, sagt Yukiko. Sie spielt Stunden. Ihre Kinder wundern sich zuweilen, dass es Mama dabei nicht langweilig wird. Bei der Erzählung muss sie selber schmunzeln.
Mit ihrer Familie lebt sie glücklich in Zürich. Sie trifft regelmässig ihre japanischen Freunde, dies auch, um Japanisch zu sprechen. Man drücke sich in der Muttersprache doch anders aus, meint Yukiko. Sie sei glücklich, dass ihr Schweizer Ehemann sich intensiv mit der japanischen Sprache und Kultur befasst habe. Und so wollen beide dann nach der Pensionierung in Japan leben.
Aber zurück zum Üben. Mit ihrer Kollegin Ursula Sarnthein spielt Yukiko im Trio Oreade. Da kann sie auf einer ihr zur Verfügung gestellten Stradivari spielen. Die Stiftung Habisreutinger habe ihr diese geliehen. Diese Tatsache beglücke und inspiriere sie sehr, sagt Yukiko.
Und wenn sie etwas Zeit hat, dann reist Yukiko mindestens einmal pro Jahr zurück nach Osaka. Ein Glück, dass das Tonhalle-Orchester Zürich auch dort gastieren wird.
Donnerstag, 19. Oktober 2023 – Tokio
Drei Tage hat das Orchester in Tokio verbracht, Ulrike Schumann-Gloster berichtet, weshalb sie schon bei Abreise den nächsten Flug in diese Stadt planen möchte, die sie so anzieht mit ihren schier unendlichen Möglichkeiten.
Immer wieder Tokio
Nach dem Start in Kitakyushu mit unserem Pianisten Bruce Liu, reisen wir am Anfang der Woche Richtung Tokio. Wir erleben einen traumhaften Landeanflug über der sonnenüberstrahlten Meeresfläche, kurz vorher sieht man Mount Fuji und später Tokio aus der Luft. Einfach unglaublich!
Am Flughafen läuft alles wie am Schnürchen, nichts bleibt dem Zufall überlassen. Diese enorme Präzision wird uns begleiten und hoffentlich helfen, den vor uns liegenden, engmaschigen Zeitplan effizient zu gestalten.
Eine Stunde liegt vor der Abfahrt zum Saal. Da ist wiederum Schnelligkeit gefragt beim Auftreiben einer möglichst warmen Mahlzeit. So finde ich mich unvermittelt wieder mit zwei Kollegen in einer Warteschleife mit Buzzer in Erwartung einer Portion Ramen, dem bekannten japanischen Nudelgericht. Glück gehabt, auch hier helfen uns das japanische Tempo und die äusserst grosse Zuverlässigkeit.
Nach kurzer Anspielprobe im weltberühmten Saal, der Suntory Hall, mit feiner und trotz allem warmer Akustik sind wir parat fürs Konzert. Die Bauweise der Bühne ermöglicht ein enorm lebendiges Kommunizieren aller Beteiligten. Es macht grossen Spass, hier zu spielen und erlaubt uns hervorragendes Reagieren. Ein Gemeinschaftserlebnis, das unser Publikum honoriert und dies sogar lange nachdem das Orchester die Bühne bereits verlassen hat. Paavo Järvi wird gefeiert und geniesst es sichtlich, nach seinen Jahren als Music Director beim NHK Symphony Orchestra wieder hier zu sein. Nach dem Konzert schwärmen viele Kollegen ins nächtliche Tokio aus und geniessen die vielfältigen Vergnügungen von Karaoke bis Dart im quirligen Quartier Roppongi oder auch ganz gemütlich in der Hotelbar in kleiner Runde.
Kochkunst, Geishas und die Schweizer Flagge nur für uns
Zwischen den beiden Konzerten in der Suntory Hall haben wir einen wohlverdienten freien Tag in dieser unglaublich abwechslungsreichen Stadt. Eine der grössten Metropolen der Welt und dazu ein Orchester voller kreativer Menschen ergibt ein fantastisches Prisma der Möglichkeiten und Optionen, diese Freiheit zu gestalten. Die Varianten reichen vom Besuch befreundeter Kollegen hier vor Ort über eine Wanderung in einem nahegelegenen Gebiet, Instrumentenkauf sowie Zubehör, Sightseeing, Training in japanischer Kochkunst oder dem Besuch der Ghibli Animationsfilmstudios bis hin zum Erleben eines aktuell hier stattfindenden ATP Tennisturniers. Unsere Diversität ist eine Schatzkammer von Ideen, die sich hier einmal mehr ganz deutlich zeigt.
Der Abend hält eine Rundfahrt per Schiff in der Tokio Bay bereit. Unsere japanische Orchesterkollegin aus den zweiten Geigen, Mari Parz, hat dieses Event für einen Teil des Orchesters bereits von Zürich aus organisiert. Sogar zwei Personen, die die berühmte Geishakunst beherrschen, begleiten unseren Ausflug. Der für unsere Ohren eher ungewöhnliche Gesang in Verbindung mit sehr langsamen, fokussierten Bewegungen ergibt eine elegante, suggestive Choreografie, eindrücklich und eher melancholisch in der Wirkung.
Am Ende der Lichterfahrt findet ein Trinkspiel statt, und wir bestaunen die Reaktionsschnelligkeit der Streicherkolleg*innen, unter ihnen unser ehemaliger Solocellist, Thomas Grossenbacher, Stargast auf dieser Tournee.
Vor Beginn des zweiten Konzertes am nächsten Tag habe ich Gelegenheit, kurz über den vor dem Saal gelegenen Karajan Square zu schlendern und entdecke dabei, dass man für uns sogar eine Schweizer Flagge gehisst hat! Ein toller Moment, der das Gefühl vermittelt: wir sind mittendrin und bieten eine Facette zum enorm vielfältigen Kulturleben der musikalischen Weltbühne.
Jazz und Schach als Zugaben
Der Konzertabend gestaltet sich als fulminanter Auftritt für unseren Solisten Bruce Liu mit Rachmaninows zweitem Klavierkonzert. Danach besticht er als Dankeschön an das applausfreudige Publikum unter anderem mit einer Jazzversion des Beethoven-Hits «Für Elise». Sehr gelungen und frisch.
Auf ausdrücklichen Wunsch des Solisten findet in der Konzertpause eine Partie Blitzschach hinter der Bühne statt. Unser Bassist Oliver Corchia als Herausforderer und prominenter Vertreter unseres hauseigenen Schachteams nimmt es locker und entscheidet das Spiel souverän für sich, obwohl er dem jüngeren Spielpartner auf Anraten der zuschauenden (Bass-)Kolleg*innen offenbar einige Chancen aufgezeigt hatte.
Unsere Beethovensinfonie schliesst im zweiten Konzertteil mit grosser Spielfreude und Spontaneität an den Ersten an, es gelingt uns, die Zuhörer*innen mit unserer Energie und viel Elan zu begeistern.
Mein Resumé von drei Tagen Tokio ist simpel: es wäre genial, hierher zurückkehren zu können. Hoffentlich wird das möglich sein, um diese unendliche Stadt noch intensiver zu erleben.
Freitag, 20. Oktober 2023 – Tokorozawa
Angekommen in Tokorozawa hat sich Michaela Braun mit unseren drei Orchestertechnikern ausgetauscht, die vor Ort die Tournee betreuen: Friedemann Dürrschnabel, Matthias Lehmann und Martin Kozel haben vieles zu erzählen über die minutiöse Planung, die nötig ist, damit unterwegs alles glatt über die Bühne geht.
Alles im Takt
Die Kollegen von der Orchestertechnik planen bereits seit Monaten die Details zur Tournee, je näher sie kommt, desto enger ist alles getaktet, viele Details sind trotz aller Vorplanung erst wenige Wochen vor der Abreise klar: So zum Beispiel die Probezeiten oder die finalen Bühnenanweisungen am jeweiligen Ort.
Im Team der Orchestertechnik geht es generell in der Vorbereitung um Grundfragen zum Cargo, Besetzungsgrössen bei den Werken, was wird wo wie eingepackt, das Frachtvolumen also insgesamt. Da spielt das Gewicht des Cargos eine Rolle, denn es hat immer auch Auswirkungen auf das Budget. Nichts wird hier dem Zufall überlassen. Ausserdem müssen in der Vorbereitungsphase die Cases (darin werden die Instrumente transportiert) auf deren Zustand überprüft werden – das Innenleben sozusagen auf Vordermann gebracht werden. «Die neuen Cases, eine Spende vom Freundeskreis, haben dabei geholfen, dass das Frachtvolumen reduziert wurde», sagt Friedemann Dürrschnabel, Leiter Orchestertechnik.
Kein Deo zu viel
Viel Papierarbeit wartet auf die Kollegen vor einer Tournee, da ist Genauigkeit gefragt. Auch bei den Formularen, die man bei der Handelskammer einreicht, von denen es nur ein Original gibt und auf denen hoffentlich jeder Stempel genau am richtigen Ort angebracht wird. Ist dies nicht der Fall, gilt dies als Regelverstoss, der nicht nur Zeit, sondern im schlimmsten Fall auch Geld kosten kann, nämlich dann, wenn der Flug verpasst werden sollte. Dann wird es richtig teuer.
Sind alle Stempel richtig angebracht, kommt es zu einem Ritual beim Verlad der Instrumente, das bis zu neun Stunden dauern kann. Neun Stunden, in denen gut fünf Tonnen Material für den Abflug bereitgestellt wird. Ein Spürhund sucht nach Sprengstoff, verbotene Flüssigkeiten in den Cases fallen im Scanner auf. Dabei ist zentral, dass alle Musiker*innen sich den Vorgaben von Matthias Lehmann entsprechend verhalten. Ein Deo zu viel kann bedeuten, dass die ganze Prüfung der Grenzkontrolleure von vorne beginnt und dann der Flug durchaus verpasst werden könnte. Aber die Disziplin seitens des Orchesters sei sehr hoch, alle seien sich der Verantwortung bewusst, wie Friedemann Dürrschnabel sagt.
Unsichtbare Helferhände
Sind alle Kisten in Ordnung, werden sie nach Mass gebündelt, damit alles auf die Paletten passt. Wetterfest wird alles verpackt, auch damit die Temperatur hält, gesichert mit Gurten, Folie, Thermocover, Plastik und darum ein Netz, damit die Fracht neunzehn oder zwanzig Stunden bei zweiundzwanzig Grad bleibt.
Alles hat auf dieser Tournee bestens geklappt, und so kamen die Instrumente unversehrt in Südkorea und anschliessend in Japan an.
Ist die Tournee erst einmal gestartet, geht die Arbeit vor Ort für die Kollegen weiter. Viele Helfer*innen, sogenannte «Stage Hands», stehen ihnen zur Seite für den Bühnenaufbau wie auch den Abbau. «Die Helfer sind perfekt vorbereitet, arbeiten auf einem sehr hohen Niveau, auf sie ist Verlass», sagt Martin Kozel, der dritte Mitreisende im Team. Eine Voraussetzung, die man sich daheim auch wünschen würde. Hier mache keiner einen Fehler, das habe mit Gesichtsverlust zu tun. Über all den Helfern wacht die Stage-Managerin. Sie betreut uns bereits zum vierten Mal in Japan.
Total anders als daheim ist die Funktion der Orchestertechniker auf der Bühne. Sie müssen für das Publikum unsichtbar sein. Die Bühne ist den Künstler*innen vorbehalten. Die geringere Wertschätzung hat mit hierarchischen Themen zu tun, so sei es nun halt, meint Friedemann Dürrschnabel. Und so wird die Bühne erst abgeräumt, wenn der letzte den Saal verlassen hat. Aber dann geht es ein Eiltempo. In einer Viertelstunde ist die Bühne leer.
Und wie steht es mit den Basler Läckerli? Fast alle verzehrt, sagen die drei.
Sonntag, 22. Oktober 2023 – Fuji und Osaka
Zum Abschluss der Tournee spielte das Orchester in Fuji und Osaka. Wobei auch die eng getaktete Reise zwischen den Städten eine Herausforderung war, wie die Geigerin Ulrike Schumann-Gloster schreibt.
Höchstleistung unter teilweise extremen Bedingungen
Japan ist trotz oder gerade wegen der kulturellen Ferne zu uns immer wieder sehr inspirierend und spannend zu bereisen. Im Spannungsfeld zwischen touristischen Momenten und der Arbeit erlebten wir diesmal Orte und Säle auf den beiden südlichen Hauptinseln. Viele interessante Einblicke in die japanische Mentalität mit all ihren Widersprüchen waren möglich. Diese Kontraste ergeben ein Kraftfeld, aus dem heraus ich mir die Unermüdlichkeit, das enorm hohe Arbeitsethos und den grossen Teamgeist, aber auch die Leichtigkeit und Verspieltheit, die in dieser Kultur stecken, erkläre. Das Individuum tritt hier grösstenteils hinter dem Team zurück. Auch wenn es ohne hervorragende Einzelleistungen wie in jeder Gesellschaft sicher nicht geht. Das hat viele Ähnlichkeiten mit unserer Arbeit als Orchester und ergibt zusammengenommen ein grosses Ganzes, einen elastischen Organismus. Auf Respekt füreinander, Vertrauen, Flexibilität, Wertschätzung und einen hohen Anspruch an uns selbst und unseren individuellen Beitrag sind auch wir im professionellen Alltag angewiesen.
Vielleicht liegt es u.a. an diesen Analogien, dass die Bewunderung für klassische Musik so gross ist in Japan? Obwohl die historischen Wurzeln eher in Europa zu finden sind. Der wichtigere Aspekt ist die universale Aussagekraft unserer Musik und ihre kraftvolle, emotionale Direktheit, die alle Menschen auf der Welt ungeachtet ihres kulturellen Backgrounds wahrnehmen und verstehen können.
Drei Mal Shinkansen
Hinter uns liegen intensive sieben Tage in Japan, sechs Konzerte und fünf verschiedene Säle. Viel gemeinsame Zeit in Bussen, Warteschlangen, Zügen, Hotels und Restaurants. Alles in allem ein verbindendes, kommunikatives Erlebnis für unsere Gemeinschaft, solange alle der Gesamtheit der Herausforderungen standhalten können, denen wir zwischenzeitlich ausgesetzt sind. Es erfordert von jedem*r einzelnen Disziplin, Toleranz und auch ein Auge auf den Nächsten. An dieser Stelle geht ein besonderer Dank an unseren Tour-Arzt Dr. Michel Trösch, der uns tatkräftig unterstützt hat auf der gesamten Reise!
Unser letzter Tourneetag war engstens getaktet. Es brauchte von allen logistische Präzision und genaueste Vorbereitung. Sehr früh am Morgen bereits starteten einige Kollegen in Fuji im Thermalbad auf der obersten Etage des wunderbaren Hotels, das aus einer gelungenen Mischung traditioneller japanischer Elemente und moderner Architektur besteht (mit Blick auf Mount Fuji). Kurze Zeit später nahmen wir den ersten von drei Shinkansen-Zügen, die uns an diesem Tag beförderten. Keine 30 Minuten vor Beginn der Anspielprobe, also super knapp, trafen wir in der Osaka Symphony Hall ein und wurden herzlichst empfangen. Sogar auf den Toiletten begrüssten uns Schilder auf Englisch. Wow, auch hier wird wieder die nahezu ehrfürchtige, ergebene Verehrung spürbar, die in Japan klassischer Musik entgegengebracht wird. Bereits um 15 Uhr spielten wir unser letztes Konzert der Tournee. Zu Beginn der Vorprobe teilte uns Ilona Schmiel begeistert und froh mit, dass man bereits eine Rückkehr plane. Eine tolle Aussicht!
Eine Schweizer Orgel in Osaka
Der Saal ist wunderbar, mit warmer Atmosphäre und einer Schweizer Kuhn-Orgel auf der Empore ausgestattet. Ein heimatliches Detail! Das Konzert fühlte sich an wie ein Kehraus, bei dem alle letzten Reserven unsererseits mobilisiert wurden; und das trotz der vorangegangenen und noch vor uns liegenden Strapazen. Bruce Liu wird auch hier von einer langen Reihe Fans direkt in der ersten Reihe umsäumt und bejubelt – zunächst für Rachmaninow und danach für zwei wunderbare Zugaben von Bach und Chopin. Unsere Brahms-Sinfonie fühlte sich etwas ruhiger an (sicher der allgemeinen Müdigkeit geschuldet) mit vielen leuchtenden Momenten. Ein vorerst letztes Mal erlebten wir auch die auffallend gehorsame Applauskultur. Nach anfänglich euphorischem Jubel verstummten wieder subito alle Hände, als Paavo Järvi sich vor der Zugabe kurz zum Publikum wendete. Das hatten wir am Abend vorher bereits in Fuji erlebt und die enorme Reaktionsschnelligkeit der Leute bewundert. Auch dort gab es Standing Ovations fürs Orchester.
Einzelapplaus mit Halbmond
Ein ganz besonderes Highlight der Verehrung der klassischen Musikszene stand uns allen noch bevor als, wir das Gebäude Richtung Bahnhof verliessen. Wie ein Popstar wurde jeder einzelne Musiker, jede einzelne Musikerin beim Hinausgehen gefeiert und mit herzlichem Applaus verabschiedet – dazu ein traumhafter Abendhimmel und ein bereits aufgehender Halbmond gegenüber. Noch einmal hiess es dann: superschnell sein, da wir per Bus einen Shinkansen nach Shinagawa erwischen müssen und danach noch per Bus zurück nach Tokio reisen. Die enorme Professionalität aller Orchesterkolleg*innen unter diesem extremen zeitlichen Druck möchte ich hier ausdrücklich hervorheben!! Im Hotel angekommen, sitzen noch einige wenige bis spät in die Nacht hinein zusammen, um die Tour etwas ausklingen zu lassen, bevor wir uns am nächsten Morgen alle auf den ersehnten Heimweg per Flugzeug begeben.
Montag, 23. Oktober 2023 – Osaka
Tourneen sind nach wie vor wichtig für das Tonhalle-Orchester Zürich, um seinen Ruf weltweit auszubauen. Die gute Nachricht ist nun, dass die Veranstalter in Südkorea und Japan grosses Interesse für Wiedereinladungen in den kommenden zwei bis drei Jahren bekundet haben. Zeit also für ein Resumée. Michaela Braun unterhielt sich mit der Intendantin Ilona Schmiel und Marc Barwisch, Leitung Künstlerischer Betrieb in Osaka.
Momente der Sehnsucht
Dass die klassische Musik heute in Japan beliebt ist, hat unter anderem damit zu tun, dass der schulische Musikunterricht nach dem Zweiten Weltkrieg ganz auf westliche Musik umgestellt worden ist. Die Kinder lernen Geige und Klavier statt Sho und Shakuhachi. Und die Neunte Beethovens ist so etwas wie die heimliche Nationalhymne und oft Mittelpunkt einer japanischen Silvestergala. Die Japaner lieben vor allem die deutsche und österreichische Klassik. Sie wirkt für sie emotional, und da der Alltag ziemlich reglementiert ist, schafft sie wohl Momente von Sehnsucht.
Das alles zusammen ist wohl ein Grund, weshalb viele Orchester, vor allem aus Europa, im Oktober und November hier auf Tournee sind. 2023 touren 23 Orchester aus dem Ausland in Japan, über zehn Top Orchester sind in den Monaten Oktober und November unterwegs – unter anderem die Wiener Philharmoniker, die Berliner Philharmoniker, das Royal Concertgebouw oder die Münchner Philharmoniker. Dazu gibt es in Japan selbst 33 professionelle Orchester, viele neue Spielstätten, an der Spitze liegt immer noch die 1986 eröffnete Suntory Hall in Tokio. Wer Lust und Zeit hat, mietet sich in Tokio in dieser Zeit eine Wohnung und geniesst das Schaulaufen der weltbesten Orchester.
Wir waren das erste Mal 1985 mit Christoph Eschenbach in Japan, die aktuelle Tournee war die siebte in diesem Land. Seit gestern ist sie nun Geschichte – und schon sitzen unsere Intendantin Ilona Schmiel und Marc Barwisch, Leitung Künstlerischer Betrieb, wieder an den Verhandlungstischen für künftige Tourneen.
Fans ohne Ende
Denn die Konzerte waren ein voller Erfolg. Das ist nicht selbstverständlich: Bei uns ist das Thema Corona ja schon fast in Vergessenheit geraten, aber in Japan war bis im Sommer noch Maskenpflicht. Nach wie vor sieht man viele Masken in den Konzerten – aber das gab es schon vor Corona. Noch kommen die Zuhörer*innen zaghaft, aber sie kommen und waren auch begeistert von unseren Konzerten.
Ihren Enthusiasmus zeigen sie ganz anders, als wir das beim heimischen Publikum gewohnt sind. Am spektakulärsten ist es wohl, wenn das Orchester schon weg von der Bühne ist und Paavo Järvi nochmals mit lautstarkem Applaus zurückgeholt wird. Oder dann sind da oft Hunderte von Fans, die eine Unterschrift wollen – meistens auf den CDs, die sie eben gekauft haben. Es ist sehr charmant und extrem respektvoll, wie sie allen auf der Bühne begegnen. Fast schon Kultstatus, den die Musiker*innen hier geniessen.
Was will der Markt?
Zurück zum Geschäft: Da sagt Ilona Schmiel ganz klar, dass der Markt sich verändert habe. Es ist nicht mehr so einfach für die Veranstalter vor Ort, ausländische Orchester einzuladen. Gerade der schwache Yen mache zu schaffen, die gestiegenen Hotel- und Reisekosten vereinfachten die Situation nicht. «Wir müssen uns für künftige Tourneen jetzt ganz klar überlegen, wie wir die inhaltliche Differenzierung von anderen Orchestern schaffen und mit ihnen auch abstimmen, wer mit welchen Inhalten im Markt präsent ist», sagt Ilona Schmiel. Denn beim näheren Betrachten sieht man: Die Programme unterscheiden sich nicht gross. Deutschsprachige Orchester bringen das deutsche Repertoire nach Japan, die Franzosen französische Musik; das Oslo Philharmonic mit Klaus Mäkelä war parallel zu uns mit skandinavischer Musik unterwegs.
Und dennoch sei Beethoven nicht gleich Beethoven oder Mahler nicht gleich Mahler, führt Marc Barwisch aus. Eine 5. Beethoven oder die «Eroica» funktioniere, die «Pastorale» hingegen nicht. Mahler 5 sei ebenfalls beliebt, die Neunte befasse sich dagegen zu sehr mit dem Tod. Eine Gratwanderung also. Damit reduziert sich das Repertoire europäischer Orchester auf rund 20 Programme, die gut laufen. Denn der Veranstalter muss die Rechnung mit sich selbst machen: Er erhält keine Subventionen, und wenn er gar, wie in unserem Fall, die Konzerte ausserhalb von Tokio weiterverkauft, muss er darauf achten, dass die Programme populär sind und die Säle sich füllen lassen. Für Repertoire aus dem 20. Jahrhundert ist da fast gar kein Platz. Dieses Risiko will keiner tragen.
Ganz klar ist für uns, dass wir mit Paavo Järvi ein Zugpferd haben. Unser Music Director war sieben Jahre lang Chefdirigent beim NHK Symphony Orchester in Tokio und kennt das Land und seine Sitten. Und er wird verehrt, die Konzerte waren gut bis sehr gut verkauft, drei Mal ausverkauft.
Wie weiter?
Unsere Veranstalterin Ryoko Yamada kennt die europäischen Bedürfnisse ausgezeichnet. Sie reist regelmässig nach Europa, hört sich viel an und hat dadurch Verständnis für unseren Wunsch nach programmatischer Öffnung. «Sie engagiert sich sehr in diesem Markt und hat inzwischen ein enormes Standing. Sie agiert weit und breit als einzige Frau in der Position als Managing Director», sagt Ilona Schmiel. Ryoko Yamada präsentiert viele junge Solist*innen, auch unseren Solisten auf dieser Tournee, Bruce Liu, der den Internationalen Chopin-Wettbewerb gewonnen hat. Wettbewerbe hätten in Japan immer noch eine hohe Bedeutung und Glaubwürdigkeit, so Ilona Schmiel. Daher sind sie für ausländische junge Künstler eine gute Basis für ein Debüt in diesem Markt. Zusammen natürlich mit einem grossen orchestralen Player aus dem Westen.
Und wie sieht denn nun die Planung für Asien oder den asiatischen Markt aus? «Es ist echt schwer einzuschätzen», meint Marc Barwisch. «Viele Sicherheiten in der Planung sind gerade am Wegbrechen.» China ist derzeit extrem fragil, und wie sich die Lage in Taiwan in zwei, drei Jahren präsentiert, ist vollkommen offen; von den Problemen mit dem schwachen Yen in Japan war schon die Rede. Einzig Südkorea hat Potenzial. Und wie es finanziell machbar sei, für beide Seiten, sei derzeit kaum abzusehen; politisch instabile Situationen erschwerten das Ganze noch, führt Ilona Schmiel weiter aus. Nun analysiere man mal zuerst die zwei Wochen in Südkorea und Japan und schaue dann zuversichtlich in die Zukunft. Die vor Ort geführten Gespräche waren positiv. Finanzielle Unterstützung wird ab sofort gesucht.