
Familiengeschichten Teil 1
Ein Cantautore-Vater, ein singender Sohn – und zwei orchestrale Familienkonstellationen.
In der Serie «Familiengeschichten» erzählen zehn Musiker*innen, zwei Mitarbeiterinnen aus dem Management-Team und Music Director Paavo Järvi von ihren Eltern, Geschwistern, Kindern.
Sie verraten, mit welcher Musik sie aufgewachsen sind, wie man den Alltag als Musikerpaar organisiert – und öffnen ihre Fotoalben. Den Anfang machen Noémie Rufer Zumstein, Mattia Zappa, Kaspar Zimmermann sowie Cathrin Kudelka und Michael von Schönermark.
Noémie Rufer Zumstein – 2. Violine
Im Orchester mit dem Schwippschwager
«Die Schweiz ist klein – wer ernsthaft Musik macht, läuft sich meist schon früh über den Weg. So habe ich mit etwa 12 Jahren in einem Musiklager Benjamin Nyffenegger kennengelernt, einen unserer Stv. Solo- Cellisten. Wir haben damals zusammen viel im Quartett gespielt, und wie es häufig vorkam in dieser Jugend-Musik-Szene, haben sich auch unsere Familien getroffen. Heute ist meine Schwester mit seinem Bruder verheiratet und wir sitzen als Schwippschwäger im selben Orchester.
Ich habe ein 50-Prozent-Pensum bei den 2. Violinen. Das ist perfekt, so habe ich genügend Zeit für meine drei Kinder, die zwischen sechs und elf Jahre alt sind. Sie spielen alle ein Instrument, die älteste Tochter Cello, die beiden Jüngeren wollten unbedingt eine Geige haben. Ich war nicht nur begeistert – bei Streichinstrumenten ist der Anfang schwierig; es gibt wohl kein Kind, das wirklich von sich aus gerne übt. Wir haben die Abmachung, dass sie mindestens vier Mal pro Woche fünfzehn Minuten spielen, und selbst das geht nicht immer von allein.
Es ist schön, dass sie dadurch einen Einblick in die klassische Musik bekommen, doch weiter reichen unsere elterlichen Ambitionen nicht. Wir freuen uns vor allem darüber, dass sie so vielfältig interessiert sind und ihre eigenen Welten entdecken können. Für mich selbst hat es gepasst mit der Musik, es hat sich alles mit einer gewissen Leichtigkeit ergeben. Aber wenn es nicht so rund läuft, ist es ein harter Beruf. Und ich erinnere mich sehr gut daran, was es für meine Eltern bedeutete, mir und meinen vier Geschwistern den Musikunterricht zu ermöglichen. Ich bin in einem kleinen Dorf im Solothurnischen aufgewachsen, von da aus mussten sie uns immer in den Unterricht fahren, bis wir allein mit dem Zug hinreisen konnten.
Zur Musik sind wir eher zufällig gekommen, es gibt keine professionelle Tradition in unserer Familie. Von meinen Geschwistern haben drei zwar ebenfalls Musik studiert, zwei davon machen jedoch inzwischen etwas anderes. Auch mein Mann hat parallel zum Konzertdiplom noch ein Medizinstudium absolviert und arbeitet heute als Arzt. Er hat den Wechsel nie bereut. Aber manchmal nimmt er seine Geige doch noch aus dem Kasten, um mit den Kindern zu musizieren.»
Mattia Zappa – Violoncello
Auf der Bühne mit dem Cantautore
«Wir haben in der Familie immer viel musiziert – aber nicht klassisch. Mein Vater ist der Tessiner Cantautore Marco Zappa, ich bin mit Rock, Blues und Folk aufgewachsen. Das war eine grossartige Schule für mich: vor Publikum auftreten, improvisieren, verschiedene Instrumente ausprobieren … Neben dem Cello spielte ich Blockflöte, manchmal Perkussion, Kontrabass, ein bisschen Gitarre. Auch meine Schwester war jeweils dabei, sie ist heute Violinistin im Zürcher Kammerorchester.
Das Cello hat mich fasziniert, seit mein Vater einmal mit Rangit Shorter, einem Cellisten des Orchestra della Svizzera italiana, zusammengearbeitet hat; er wurde mein erster Lehrer. Es ist ein sehr klassisches Instrument, von daher war klar, in welche Richtung es geht. Als ich dann im Studium war, wurde ich einmal in die Direktion gerufen; dort hat man mir gesagt, dass ich mich jetzt wirklich ganz auf das klassische Repertoire konzentrieren müsse. Das fand ich unangenehm, doch es war mir schon bewusst, dass es vollen Einsatz braucht, wenn man auf diesem Instrument ein Solistendiplom machen will. Die Freude am Improvisieren ist mir trotzdem geblieben; im Orchester kommt sie zwar nicht zum Zug, aber dafür bei meinen Rezitalen.
Inzwischen bin ich selbst Vater von drei Buben; der älteste ist ohne Instrument unterwegs, von den Zwillingen spielt der eine Klavier und der andere E-Gitarre. Ich finde es gar nicht einfach, abzuschätzen, wie viel oder wie wenig ich tun soll. Ich habe mich einst erst nach der Matura für ein Musikstudium entschieden, meine Eltern drängten mich nie, aber sie unterstützten mich voll während des Studiums an der Juilliard School in New York. Auch ich möchte meine Zwillinge nicht pushen, sie sind jetzt zehn Jahre alt, da kann noch alles passieren. Doch es freut mich natürlich, wenn ich sehe, mit wie viel Leidenschaft sie dabei sind. Übrigens auch beim freien Musizieren mit dem Grossvater: Vor allem für den Sohn mit der E-Gitarre ist er ein grosses Vorbild.»
Kaspar Zimmermann – Oboe
Kanon singen beim Autofahren
«Unsere Kinder sind beide vielseitig interessiert. Charlotte hatte sich ein Bratschen-Studium überlegt, auch Kunstgeschichte war eine Möglichkeit, aber nun studiert sie Internationale Beziehungen in Genf und ist glücklich damit. Constantin dagegen ist Sänger geworden, bei ihm war die Liebe zur Musik stärker als zu allem anderen. Es war sehr früh klar, dass er talentiert ist – ich erinnere mich an Autofahrten, da war er vielleicht drei Jahre alt und sang schon eigenständig und absolut rein seine Stimme in Beethovens Kanon ‹Signor Abate›. Er hatte dann zahlreiche Auftritte als Knabensopran, und sein Götti Ton Koopman wollte vor dem Stimmbruch noch eine CD mit Bachs Schemelli-Liedern mit ihm machen, um seine schöne Knabenstimme zu konservieren. Doch solche Aufnahmen werden langfristig geplant, und als es so weit war, hatte der Stimmbruch bereits begonnen. Da dieser bei ihm sehr langsam und kontinuierlich verlief, konnte er weitersingen, indem er sich stetig an die Veränderungen seiner Stimme anpasste.
So ist er fast automatisch in das Fach des Countertenors gerutscht. Er hat sich lange überlegt, ob er tatsächlich Sänger werden will – auch weil es für diese spezielle Stimmlage keine festen Stellen in Opernensembles gibt. Er wird also immer Freelancer sein, das ist kein leichter Weg. Aber bisher läuft es gut für ihn, er hatte bereits verschiedene Engagements an deutschen Häusern.
Für uns als Eltern war es wichtig, dass die Kinder wirklich tun, was sie am liebsten möchten. Natürlich, die Musik liegt bei uns in der Familie; bei mir gibt es mütterlicherseits fast nur Musiker, ich habe bei meinem Onkel studiert. Und meine Frau ist Cembalistin und Pianistin, sie hat die musikalische Entwicklung beider Kinder sehr geprägt, nur schon, weil sie sie immer begleitet hat. Doch die Entscheidung, ob die Musik zum Beruf wird oder ein Hobby bleibt, wollten wir immer den Kindern selbst überlassen.»
Cathrin Kudelka und Michael von Schönermark – 2. Violine / Solo-Fagott
Als Eltern-Paar im gleichen Orchester
Cathrin Kudelka «Wir haben uns 2013 auf einer Tournee kennengelernt, Michael kam als Zuzüger mit. Es ging dann alles ziemlich schnell, unsere Töchter sind nun 6 und 9 Jahre alt.»
Michael von Schönermark «Ich spielte damals im Konzerthausorchester Berlin, und anfangs waren wir in beiden Städten zu Hause. Aber als unsere erste Tochter geboren wurde, war das nicht mehr so leicht.»
CK «Es gab dann ein Probespiel für Fagott bei uns, wir haben einen enormen Aufwand betrieben, doch es kam zu keinem Entscheid. Ich plante bereits, nach Berlin zu gehen, ich hätte dort unterrichtet. Dann wurde das Probespiel wiederholt, wir haben gar nichts Spezielles gemacht, und es hat funktioniert. Das war der Sechser im Lotto für uns.»
MS «Ich habe in Berlin schon einiges zurückgelassen – den ganzen Freundeskreis, die beruflichen Kontakte. Aber zwei Jahre nach meinem Wechsel nach Zürich bekam ich zusätzlich zur Orchesterstelle eine Professur in Luzern, so baut man sich alles Stück für Stück neu auf.»
CK «In einigen Punkten haben wir es einfacher mit den Kindern als Paare mit ‹normalen› Jobs, weil ein grosser Teil unserer Arbeit zu Hause stattfindet. Es gibt aber auch Nachteile: Die Betreuungssituation ist kompliziert, weil wir unregelmässig und oft abends arbeiten.»
MS «Das passt in kein Kita-Raster.»
CK «Unsere grosse Tochter ging dann doch ein Jahr in eine Kita, da war sie allerdings ständig krank. Wir mussten uns oft abmelden.»
MS «Manchmal haben wir im Witz gesagt: Wer von uns soll kommen, wo findet ihr leichter Ersatz, bei den Geigen oder beim Fagott?»
CK «In der Regel achten wir darauf, dass wir so selten wie möglich zusammen eingeteilt sind. Das geht relativ gut, weil ich nur ein 50-Prozent- Pensum habe.»
MS «Wenn wir trotzdem mal in derselben Woche spielen, ist das schön. Es ist schon fast Paarzeit: Wir gehen zusammen Mittagessen oder in die Kaffeepause.»
CK «Es ist nicht so, dass wir daheim ständig über das Orchester reden. Vielleicht kurz, damit das abgehakt ist. Musik kommt zu Hause trotzdem vor: Unsere Töchter spielen beide Geige, nicht weil ich das wollte, sondern weil sie das wollten.»
MS «Das ist gar nicht so einfach, man hört es den ganzen Tag im Orchester, und zu Hause geht es weiter.»
CK «Die Ältere hat jetzt auch noch mit Harfe angefangen, das ist wunderbar, denn wir haben beide keine Ahnung davon. Vielleicht ist das annähernd so wie für Nicht-Musiker-Eltern: Man geniesst es einfach und ist stolz, wie schön das klingt, ohne dass man bei jedem Ton eingreifen möchte.»