Hinter den Kulissen

Familiengeschichten Teil 3

Im Orchester mit dem Vater, in der Band mit dem Bruder – und unterwegs mit der Enkelin.

Aufgezeichnet von Susanne Kübler

In der Serie «Familiengeschichten» erzählen zehn Musiker*innen, zwei Mitarbeiterinnen aus dem Management-Team und Music Director Paavo Järvi von ihren Eltern, Geschwistern, Kindern.

Sie verraten, mit welcher Musik sie aufgewachsen sind, wie man den Alltag als Musikerpaar organisiert. Im dritten und letzten Teil öffnen Tanita Schambach, Johannes Gürth, Sarina Zickgraf und Thomas García ihre Fotoalben.

Tanita Schambach – Fundraising

Eine Kindheit mit Musik, Fotografie und Senf

«Mein Vater Christoph Schambach ist freier Komponist – und genau so, wie man sich einen Komponisten vorstellt. Er summt ständig Melodien vor sich hin, oft ist er mit dem Kopf woanders. Das hat mich als Kind manchmal genervt, aber es sorgte für eine ganz besondere Atmosphäre zu Hause. Und die Art, wie er mit mir und meiner Schwester umging, so emotional und empathisch, die finde ich immer noch eindrücklich. Auch meine Mutter ist freischaffend unterwegs, als Fotografin. Eine Zeit lang betrieben meine Eltern zusätzlich eine Senfmanufaktur, heute würde man das als Startup bezeichnen; sie produzierten Bananensenf, Himbeersenf, alle möglichen Mischungen. Es kann gut sein, dass mein Bedürfnis nach beruflicher Stabilität und klaren Strukturen damit zu tun hat, dass es diese im Berliner Künstlerhaushalt nur bedingt gab.

Doch die musikalischen Interessen, die hat mir mein Vater weitergegeben. Er ging regelmässig in Konzerte mit uns, vor allem ins Konzerthaus Berlin. Und einmal bekamen meine Schwester und ich kleine Rollen in seiner ‹Leichenoper›, einer Song-Oper nach Texten von Daniel Morgenroth. So habe ich – nachdem ich mich für Geige und Klavier nicht erwärmen konnte – den Gesang entdeckt; ich hatte privaten Unterricht und sang im Jugendchor der Deutschen Oper Berlin. Dort habe ich erstmals erlebt, wie komplex eine solche Institution ist, wie viele Abteilungen es gibt, wie viele Menschen sich wochen- und monatelang bemühen, um eine Aufführung zustande zu bringen.

Zunächst plante ich ein Gesangsstudium, aber letztlich war mir das zu unsicher. So habe ich einige Semester Musikwissenschaften studiert und eine Ausbildung als Event-Managerin absolviert. Nun bin ich bei der Tonhalle-Gesellschaft Zürich für das Fundraising tätig, als Teil eines Betriebs, der genauso faszinierend ist, wie ich mir das als Jugendliche vorgestellt habe. Daneben singe ich immer noch, ich liebe die grossen Chorwerke – und die Lieder meines Vaters. Er schreibt sehr klassisch, tonal, manchmal mit jazzigem Einschlag. Ich finde es schön, dass seine Musik so zugänglich ist.»

Johannes Gürth – Viola

Backstage unterwegs mit der Enkelin

«Meine achtjährige Enkelin Emily hat mitbekommen, dass es in diesem Magazin um Familien geht, und bat mich, auch etwas zu erzählen. Sie war schon oft in der Tonhalle und ich staune immer wieder, was ihr hier auffällt. Im Saal imponieren ihr die vielen Sitzplätze. Beim Familienkonzert ‹Viel Meer› fand sie es lustig, dass wir Gummistiefel trugen. Und als wir einmal backstage waren, wollte sie genau sehen, wo die Tänzerinnen und Tänzer bei ‹Dornröschen› durchgegangen waren. Sie tanzt selbst bei jeder Gelegenheit und wollte aus eigener Initiative ins Kinderballett.

Sie ist oft bei uns zu Hause, wie auch die anderen drei Enkel. Wir haben eine grosse Schachtel mit allerlei Instrumenten – Blockflöten, Schellen, Handtrommeln, solche Dinge. Dazu gibt es eine Harfe, ein tibetanisches Horn und Ukulelen, und da heisst es nie: Vorsicht, das ist heikel. Die Kinder dürfen alles verwenden, aber mit Gefühl, das ist wichtig; mit Gefühl für das, was man tut, und für die Ohren der anderen. Wenn sie dann etwas wirklich lernen wollen, werden sie von meiner Frau unterrichtet, am Klavier oder auf der Geige.

Emily ist das Kind meiner Tochter Naïma, die professionelle Jazz-Saxofonistin ist und in vielen Konzerten auch singt. Mit ihr bin ich schon vor Jahren mit eigenen Arrangements in der Kleinen Tonhalle aufgetreten, oder mit Band in der Jazzkantine Luzern, das war eine Riesenfreude. Ausserdem habe ich zwei Söhne, der eine spielt immer noch Posaune in der Stadtmusik, der andere war Schlagzeuger. Alle diese Instrumente hätte ich selbst gern gelernt, doch ich durfte nicht: weil es zu laut gewesen wäre in der Wiener Wohnung meiner Eltern, und weil sie befürchteten, ich könnte auf die Pop-Schiene geraten. Sie sangen zwar beide leidenschaftlich im Chor, aber sie wollten nicht, dass ich Berufsmusiker werde. Es liess sich trotzdem nicht verhindern …

Doch zurück zu den Enkelkindern. Emily hat mir aufgetragen, dass ich nicht nur Musikalisches erwähnen soll: Wir spielen auch Fussball, Playmobil und Mastermind, wir schreiben Geschichten zusammen oder gehen in den Wald. Ich bin wirklich sehr gerne Grossvater.»

Sarina Zickgraf – Stv. Solo-Viola

Duo mit der Schwester, Band mit dem Bruder

«Ich wollte schon als ganz kleines Kind die Violine meines Vaters haben; wenn sie im Regal lag, habe ich offenbar immer versucht, da hinzugelangen. Als ich etwa drei Jahre alt war, haben mir meine Eltern eine 32tel-Geige geschenkt, ein winziges Instrument, das ich gar nicht mehr aus der Hand geben wollte. Mit vier Jahren bekam ich dann ein Stipendium bei der Pflüger-Stiftung Freiburg; dort blieb ich bis zum Studium. Es gab nicht nur Einzelunterricht, sondern auch Gruppenstunden, Ensemble-Unterricht und regelmässige Vorspiele; es war eine sehr vielfältige Ausbildung.

Bei mir zu Hause haben alle Musik studiert. Aber wir sind nicht nur klassisch unterwegs, wir haben schon immer querbeet alles gespielt und gehört. Mein Vater hatte einst eine Swing-Band, ich sang in einem Jazzchor. Und zusammen mit meinem Bruder hatte ich eine Zeit lang eine Band, mit der wir auf Hochzeiten und bei anderen Festen vor allem Coversongs spielten. Mein Bruder sass da am Schlagzeug und ich spielte Klavier.

Meine Schwester ist Geigerin und studiert nun noch Medizin. Wir sind in Waldkirch bei Freiburg im Breisgau aufgewachsen und von Klein auf viel in der Region aufgetreten. Wenn wir heute zusammen Konzerte spielen, wechseln wir die Instrumente; wir kombinieren Geige, Bratsche und Klavier in allen möglichen Konstellationen. Auch wenn sie beruflich jetzt in eine andere Richtung geht, nutzen wir jede Möglichkeit für gemeinsame Auftritte.

Das ist für mich eine gute Ergänzung. Ich liebe das Orchesterspiel, seit ich im deutschen Bundesjugendorchester war. Und ich mag es, dass es hier im Tonhalle-Orchester Zürich neben den Sinfoniekonzerten auch Filmmusik oder die elektronischen Projekte der tonhalleLATE gibt. Seit zwei Jahren bin ich im Orchestervorstand und seit März 2024 dessen Präsidentin; ich will mich wirklich voll und ganz einbringen. Aber es braucht auch Projekte, die nichts mit dem Orchester zu tun haben – damit die Musik noch ein bisschen Hobby bleibt.»

Thomas García – 1. Violine

Wie der Vater, so der Sohn

«Ich bin mit dem Tonhalle-Orchester Zürich aufgewachsen, denn mein Vater Oscar García spielte ab 1979 bei den 1. Violinen. Später, als ich in München studierte, hörte ich das Orchester oft im Radio. Damals waren gerade die Beethoven-Aufnahmen mit David Zinman herausgekommen, es war eine Zeit des Aufschwungs; das hat mich natürlich gereizt. Als dann kurz vor meinem Abschluss eine Stelle frei wurde, habe ich mich für das Probespiel angemeldet. Dass ich es gewinnen würde, war überhaupt nicht sicher, die Konkurrenz war gross. So etwas bekommt man nicht geschenkt und erst recht nicht ‹vererbt›. Aber es hat funktioniert.

So kam ich 2002 in die gleiche Stimmgruppe wie mein Vater. Da wir in der Aufstellung rotieren, sassen wir immer wieder miteinander am Pult. Für uns war das normal, wir hatten ja seit meiner Kindheit zusammengespielt. Wir verstehen uns gut, haben denselben Humor. Wenn wir auf Tournee waren, machten wir häufig Ausflüge, zum Beispiel zur Chinesischen Mauer. Und auch neben dem Orchester hatten wir gemeinsame Projekte, etwa ein Tango- Quintett. Mein Vater kam aus Argentinien in die Schweiz, und die Leidenschaft für die südamerikanische Musik hat er mir definitiv weitergegeben.

2014 wurde er pensioniert, doch ich werde immer noch oft nach ihm gefragt. Er war eine auffallende Persönlichkeit im Orchester – mit seiner Ausstrahlung, seiner Eleganz. Manchmal kommt er noch zuhören, er ist begeistert von Paavo Järvi und von den vielen jungen Leuten, die nachgerückt sind. Und er unterrichtet meinen Sohn, der ebenfalls Geige spielt. Kürzlich gaben wir zu dritt ein Konzert in Dübendorf, drei Generationen auf der Bühne; es gab sogar einen Bericht darüber im ‹Glattaler›. Auch meine Tochter ist musikalisch unterwegs, sie spielt Klavier wie meine Frau und hat schon diverse Preise gewonnen. Ich freue mich sehr darüber, dass die Familientradition weitergeht.

Ob ich mir wünschen würde, dass mein Sohn später in das Orchester kommt? So etwas kann man nicht planen. Aber ich hätte sicher nichts dagegen.»

veröffentlicht: 12.02.2025